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Dieses Inter­view erschien im WM-Son­der­heft und wurde wenige Wochen vor WM-Start in Kali­for­nien geführt. Heute ist es erst­mals online zu lesen.

Jürgen Klins­mann, Deutsch­land hofft auf den WM-Pokal. Sie müssten wissen, ob es diesmal klappt, schließ­lich waren Sie als Spieler an den letzten großen Titeln betei­ligt.

Naja, ich habe zumin­dest eine unge­fähre Ahnung, warum ein Team in einem Tur­nier erfolg­reich ist und woran es liegt, wenn man schei­tert.

Ver­raten Sie uns, worauf es bei einer erfolg­rei­chen WM ankommt?
Auf zahl­lose Klei­nig­keiten, auf das rich­tige Momentum, aber auch darauf, wie der Ame­ri­kaner sagt, the extra mile zu gehen. Sprich: über sich hin­aus­zu­wachsen.

Sie waren mit Deutsch­land Welt- und Euro­pa­meister. Was machte diese Teams so stark?
Das lässt sich nicht ver­all­ge­mei­nern: Bei der EM 1996 hatten wir eine Mann­schaft, die nicht so gut wie einige Kon­kur­renten war. Aber das Team war bereit, das Letzte aus sich her­aus­zu­holen. Zwei Jahre zuvor war es anders: Bei der WM in den USA waren wir mit Abstand die beste Mann­schaft. Hätten wir gegen Bra­si­lien im Finale gespielt, wären nur wir in der Lage gewesen, offensiv gegen sie zu agieren und sie unter Druck zu setzen.

Aber?
Wir haben es ver­geigt, weil wir uns zu sicher waren, zu arro­gant und selbst­ge­fällig.

Was war das Geheimnis der Welt­meis­terelf von 1990?
Damals spielten viele von uns in Ita­lien: Icke Häßler bei Juve, Andy, Lothar und ich bei Inter, Rudi und Thomas Bert­hold bei Roma. Das passte. Wir hatten ein ähn­li­ches Lebens­ge­fühl, einen ver­gleich­baren Hori­zont. Und auch die Trainer passten zum Team.

Passen Sie zum US-Team?
Zumin­dest ver­suche ich, der Mann­schaft so viel Erfah­rung und Know-how wie mög­lich anzu­bieten, damit sie an Sicher­heit gewinnt. Denn nur mit Selbst­ver­trauen wird sie in der Lage sein, auch große Nationen zu besiegen.

Bei der WM bekommen Sie es in der Vor­runde mit Deutsch­land, Por­tugal und Ghana mit drei Schwer­ge­wichten zu tun.
Ich bin mit den Aus­lo­sungs­re­gu­la­rien der FIFA sehr unzu­frieden. Wir haben eine rei­bungs­lose Quali gespielt und wurden bestraft, weil die Aus­lo­sungs­töpfe sehr eigen­willig zusam­men­ge­stellt wurden. Die Schweiz ist gesetzt als eine der acht Top-Mann­schaften der Welt. Und wir kriegen neben dem gesetzten Deutsch­land noch Por­tugal zuge­lost, die zwei­fels­frei zum erwei­terten Favo­ri­ten­kreis gehören. Wir haben Mexiko in der Quali deut­lich hinter uns gelassen, Mexiko musste in die Play-offs gegen Neu­see­land – und hat jetzt eine leich­tere Gruppe als wir.

Sie rechnen sich keine Chancen aus?
Doch, natür­lich. Wir sind nicht so ver­messen, gegen Por­tugal und Deutsch­land als Favorit gehan­delt zu werden. Aber unser Ziel ist klar: Wir müssen gegen Ghana mit einem Dreier ins Tur­nier starten. Ein Sieg könnte Kräfte frei­setzen.

Damit setzen Sie Ihr Team fürs erste Spiel aber mächtig unter Druck.
Da braucht es keinen zusätz­li­chen Druck. Wir haben bei den letzten Welt­meis­ter­schaften zwei Mal gegen Ghana ver­loren, da haben wir etwas gut zu machen.

Wie wird die WM-Gruppe in den US-Medien wahr­ge­nommen?
It’s a group of death. Als die Aus­lo­sung vorbei war, das gebe ich zu, war in unserer Dele­ga­tion ein Moment lang Stille. Aber dann kam gleich die Trotz­re­ak­tion: So what, let’s go for it.

Als Bun­des­trainer gaben Sie bei Ihrer Amts­ein­füh­rung trotz wenig rosiger Aus­sichten den Titel als Direk­tive für die WM 2006 aus. Wie lautet Ihre Ansage an die US-Öffent­lich­keit?
Es gibt ein Sprich­wort: Start with the end in mind. So sehe ich das auch. Wir schlagen Ghana, über­stehen die Vor­runde – und dann legen wir richtig los. Meinen Rück­flug aus Bra­si­lien habe ich jeden­falls gebucht.

Aha.
Der geht am 15. Juli 2014.

Und was machen Sie mit all der freien Zeit nach der Vor­runde?
Klar, dass die Gegen­frage kommt. Natür­lich weiß ich nicht, wie lange wir im Tur­nier bleiben. Aber diese WM wird für alle voller Unwäg­bar­keiten sein. Für Fans, Jour­na­listen, Spieler und auch für die Betreu­er­stäbe. Warten wir doch ab, wer am besten mit den Gege­ben­heiten zurecht­kommt.

Sie gehen mutig ins Tur­nier. Ihr Quar­tier liegt im Trubel der Mega­city São Paulo, zu den Vor­run­den­spielen legt Ihr Team von dort rund 18 000 Flug­meilen zurück.
Wir haben in der Quali bewiesen, dass wir in der Lage sind, uns anzu­passen. Wir haben Schnee­spiele in Colo­rado gewonnen, in Jamaika, wo man eine Meile gegen den Wind rie­chen konnte, was die Leute am Strand rau­chen, und Panama in letzter Sekunde mit zwei Toren aus dem WM-Traum geschossen.

Was uns nicht umbringt, macht uns stärker.
Noch mal: Bra­si­lien wird eine WM der Tole­ranz. Teams, die wegen Klei­nig­keiten anfangen rum­zu­heulen, werden Pro­bleme bekommen.

Die DFB-Elf meidet die Groß­städte und lange Reisen. Jede Kultur ist anders.
Die ame­ri­ka­ni­sche Kultur ist an Lang­stre­cken­flüge gewöhnt. Der Ame­ri­kaner will in die Stadt, weil er um die Ecke einen Star­bucks braucht. Das Hotel sollte für die Frauen und Kinder offen sein. Der Ita­liener hat hin­gegen kein Pro­blem, zwei Monate ver­schanzt in seinem Quar­tier zu hängen. Die schlafen teil­weise in Dop­pel­zim­mern, weil sie quat­schen wollen, und sind immer mit ihren Fami­lien tele­fo­nisch in Kon­takt.

Und was braucht der Deut­sche?
Eine Mischung. Die einen brau­chen abso­lute Ruhe, um sich auf Fuß­ball zu kon­zen­trieren. Und dann gibt es auch andere Typen.

Das heißt?
Die ständig an die Luft müssen. Berti Vogts hat mir erzählt, wie wir Ende der Sieb­ziger mit der U16 zu einem Tur­nier nach Por­tugal fuhren. Es war sein erstes Tur­nier als Trainer, er ord­nete Mit­tags­ruhe an, bekam aber irgendwie mit, dass ich nach dem Essen das Hotel ver­ließ. Er folgte mir unbe­merkt, weil er wissen wollte, was ich vor­habe. Als er dann
sah, dass ich auf einem Felsen saß und aufs Meer schaute, war’s für ihn erle­digt.

Mit anderen Worten: Jeder nach seiner Fasson.
Für ein deut­sches Team ist es enorm wichtig, die Balance zu finden, um die Energie auf Top-Level zu halten. 2006 lief es auch des­halb so gut, weil wir mit­ten­drin waren in Berlin und mit­be­kamen, wie die Euphorie um uns stieg. Die Frauen kamen ins Schloss­hotel und erzählten, dass am Bran­den­burger Tor der Punk abgeht. Das hat auch mir als Chef­trainer viel Energie gegeben.

Wie wurde es in den USA wahr­ge­nommen, dass Sie Berti Vogts als Berater für die WM hin­zu­ge­zogen haben?
Sehr positiv. Geballtes Know-how zusam­men­zu­ziehen, ist hier auch in der Politik und in der Wirt­schaft üblich. In Deutsch­land lau­tete die Hal­tung: Warum nimmt Klins­mann sich für jeden Bereich einen Spe­zia­listen? Das muss er als Trainer doch selbst machen.“ Ame­ri­kaner wissen, dass nie­mand alles machen kann.

In Deutsch­land exis­tiert nach wie vor ein mediales Zerr­bild von Berti Vogts. Für viele ist er der etwas unbe­hol­fene Ter­rier“.
Wir haben alle unsere Stärken und Schwä­chen. Ich sehe meine Auf­gabe darin, Leute so zusam­men­zu­bringen, dass sie ihre Stärken in diese Gruppe ein­bringen und ihr somit wei­ter­helfen. So ist es mir zur Bun­des­trai­ner­zeit auch mit Jogi, Köppi (Andreas Köpke, d. Red.) oder mit Oliver Bier­hoff gelungen. Ich brauche Leute um mich, die mich wei­ter­bringen, und das tut Berti.

Wie bringt der 68-jäh­rige Berti Vogts Jürgen Klins­mann weiter?
Mit seinem umfas­senden Know-how hilft er mir in prak­tisch allen Berei­chen. Er hat einen Erfah­rungs­schatz von so vielen Tur­nieren, er kennt jeden Vor­run­den­gegner im Detail. Für mich ist er ein Sounding Board.

Das bedeutet?
Mit meinem Trai­ner­team stelle ich für jedes Spiel, jede Vor­be­rei­tung kon­krete Pläne auf. Diese Pläne lasse ich Berti zukommen, damit er mit einem unab­hän­gigen Blick drauf­schaut und mir sagt, was ihm dazu ein­fällt. Und dann kann es pas­sieren, dass er bei­spiels­weise sagt: Ich würde diese Eck­ball­va­ri­ante mal aus­pro­bieren.“

Das bringt’s?
Man wird sehen. Im Test­spiel gegen Mexiko fiel das 1:0 per Eck­ball. Die Vari­ante kam von Berti Vogts.

Bei Ihrem Amts­an­tritt als US-Coach 2011 fanden Sie nach eigener Aus­sage eine Kultur der Zufrie­den­heit“ vor.
In der Mann­schaft herrschte ein Sta­tus­denken, basie­rend auf dem Erreichten in der Ver­gan­gen­heit. Die in Europa spielen ganz oben, dann ein paar grö­ßere Namen aus der MLS und dann Spieler, die in Mexiko spielen. Das habe ich mir zwei Spiele lang ange­sehen und am Ende der Zusam­men­kunft eine Ansprache gehalten, die der Kader mit nach Hause nehmen und über­denken sollte.

Wie lau­tete der Tenor der Rede?
Ein­fach gesagt: Ver­gesst die Ver­gan­gen­heit, denkt nur an die Gegen­wart und die Zukunft. Ich sagte, dass es kein Hier­ar­chie- und Besitz­stands­denken geben darf. Wenn einer glaubt, dass er der große Fisch im Teich ist, weil er zum Bei­spiel in Europa spielt, kommen wir als Mann­schaft nicht weiter. Zumal die meisten kaum eine Vor­stel­lung davon hatten, was es bedeutet, 24-Stunden-Profi zu sein. Kaum einer kannte die Cham­pions League. Nur wenige wussten, was es bedeutet, kurze Rege­ne­ra­ti­ons­zeiten zu haben und alle drei, vier Tage zu spielen.

Emp­finden Sie noch eine Nähe zur deut­schen Mann­schaft, in der nach wie vor einige Spieler aus der Sommermärchen“-Ära kicken?
Emo­tio­nale Nähe emp­finde ich in erster Linie zum Stab. Vor allem zu Jogi, Köppi und Oliver Bier­hoff, weil sie richtig gute Freunde sind. Dieses Ener­gie­feld zwi­schen den Ver­ant­wort­li­chen ist dort schon außer­ge­wöhn­lich.

Die deut­sche Mann­schaft spielt teil­weise her­aus­ra­genden Fuß­ball, aber der große Titel fehlt noch.
Da leide ich auch still mit. Denn die Jungs sind so unfassbar gut, dass es jetzt klappen sollte.

Wie der Friese sagt: Wat mutt, dat mutt.
Deutsch­land lebt nun mal ein Stück weit von diesem Zyklus. Die 54er, die dem Land wieder Selbst­be­wusst­sein gaben. Die 74er mit ihrer unfass­baren Aura. Unser Team 1990. Nach der EM 1996 gab es dann einen Riss. Es ist allein ein Jammer, dass so groß­ar­tige Spieler wie Michael Bal­lack, Jens Leh­mann, Bernd Schneider oder Torsten Frings keinen Titel ernten konnten. Des­wegen darf es nicht sein, dass auch die nächste Gene­ra­tion, die teil­weise noch besser ist, ohne Titel abtritt.

Vor der WM 2006 sagten Sie, dass Sie Lust hätten, die deut­sche Mann­schaft nach dem Tur­nier wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Dann aber traten Sie zurück, weil Sie sich auf­ge­zehrt von der Inten­sität der Auf­gabe fühlten. Haben Sie Ihren Ent­schluss nach­träg­lich nie bereut?
Diese Momente kommen immer mal wieder. Aber es war nach Ende des Tur­niers eine höchst emo­tio­nale Situa­tion, die es mir schwer machte, meinen Ent­schluss mit ange­mes­senem Weit­blick zu treffen. Sie wissen doch, was mit unserem Land damals pas­siert ist, es war ein durch und durch posi­tiver Moment. Sicher hätte ich nach einer drei­mo­na­tigen Aus­zeit einen anderen Blick auf die Lage gehabt.

Aber?
Das nächste Län­der­spiel stand bereits im August 2006 an. Und fünf Wochen nach der Aus­nah­me­si­tua­tion bei der WM wieder die Linie auf- und abzu­ti­gern, konnte ich mir nicht vor­stellen.

Wurden Sie damals schlecht beraten?
Nein, das habe ich mit mir selbst aus­ge­macht. Erst als ich meinen Ent­schluss bekanntgab, kamen Leute und meinten: Warum hast du dich nicht ein­fach ein halbes Jahr raus­ge­zogen, das hätte doch jeder ver­standen?“ Auf die Idee war ich über­haupt nicht gekommen.

Eine Kurz­schluss­re­ak­tion.
Nein, aus dem Bauch war es die rich­tige Ent­schei­dung. Man muss ja bei sol­chen Ent­schei­dungen immer die dama­ligen Gege­ben­heiten berück­sich­tigen. Die Belas­tung war Ober­kante Unter­lippe. Nach dem Tur­nier sind wir einige Tage nach Bai­er­s­bronn ins Hotel Engel“ in den Schwarz­wald gefahren, um Jogi zu über­zeugen, den Job zu über­nehmen. Drei Tage
hat mich das gekostet. (Lacht.) Als sich das rum­sprach, tauchten plötz­lich Schul­klassen vor dem Hotel auf. Richtig nett – mit Trans­pa­renten. Aber meine Sicht­weise war völlig anders, mehr von der Innen­sicht geprägt. Des­halb stehe ich voll zu der Ent­schei­dung.

Letzt­lich hat Sie das Som­mer­mär­chen“ über­for­dert.
Ich weiß nicht, ob Sie sich das vor­stellen können: Wir kamen zum Spiel um den dritten Platz nach Stutt­gart, wo uns 30.000 Men­schen vorm Hotel am Bahnhof emp­fingen. 30.000! Der Wahn­sinn, aber ich dachte: Wir müssen run­ter­kommen, irgend­wann muss wieder Fuß­ball­nor­ma­lität ein­kehren – zu der die Euphorie zwar gehört. Aber nur Euphorie – das geht nicht. So ist der Fuß­ball nun mal: Man tritt nach einer Aus­wechs­lung in eine Tonne, ein paar Minuten später hat man sich wieder beru­higt, aber Jahr­zehnte lang erin­nern sich die Leute an diese Szene. Genauso kann es pas­sieren, dass man als Bun­des­trainer hin­wirft, weil eine Situa­tion ein­tritt, die einen kurz­zeitig über­dreht.

Hat Löw sich schon mal bei Ihnen beschwert, dass Sie ihm diesen Job ein­ge­brockt haben?
Ach was, der Jogi ist ein Super­trainer. Und im Gegen­satz zu mir war er auch schon zuvor Chef­trainer gewesen. Er wusste, worauf er sich ein­lässt. Auch wenn diese Kiste natür­lich um ein Viel­fa­ches größer ist.

Wie oft spre­chen Sie mit Jogi Löw?
Wir tele­fo­nieren nicht jede Woche, aber wenn wir inter­es­sante News über Ernäh­rung oder Trai­nings­lehre erfahren, schi­cken wir uns Mails und geben uns gegen­seitig Tipps.

Haben Sie Löw eine Mail geschrieben, weil Sie das WM-Quar­tier in der Einöde von Porto Seguro für keine gute Idee halten?
Nein, das ist seine Sache. Und ich ver­traue dem Oliver (Bier­hoff, d. Red.) da voll und ganz. Diese Wohn­an­lage ist etwas anderes als ein Fünf-Sterne-Hotel. Dort kann sich die Mann­schaft optimal finden, das hat ja fast ein WG-Fee­ling. Glauben Sie mir, der Oliver ist sehr clever in diesem Lebens­ge­fühl-Denken.

Worum beneiden Sie Jogi Löw als Bun­des­trainer?
Neid ist das fal­sche Wort, aber ich bewun­dere die große Zahl von Spie­lern, die durch die Nach­wuchs­zen­tren zu ihm kommen. Diese Hoch­ge­schwin­dig­keits­spieler mit ihrer Technik, die furiosen Angriffs­fuß­ball mit schnellen Posi­ti­ons­wech­seln spielen können. Alles, was wir 2004 in der Theorie auf Flip­charts gekrit­zelt haben und was jetzt seit acht Jahren Rea­lität ist, dafür bewun­dere ich ihn und die Mann­schaft.

Jürgen Klins­mann, würden Sie den Film Deutsch­land. Ein Sommer­märchen“ heute noch mal genauso frei­geben?
Eher nicht.

Warum nicht?
Weil ich finde, dass der Film ein fal­sches Bild von mir als Trainer gezeichnet hat.

Aber der Doku­men­tar­film von Sönke Wort­mann wurde durch den DFB auto­ri­siert.
Stimmt, ich habe damals nur das Roh­ma­te­rial gesehen. Als geschnitten wurde, habe ich mich raus­ge­zogen, weil ich meine Ruhe brauchte. Es war ein Film für Fans, der die Freude dieser WM rüber­bringen sollte. Er sollte die Kids mit Poldi“ und Schweini“ ver­binden. Und das tut er auch. Über mich habe ich dabei nie nach­ge­dacht. Aber könnte ich es heute noch mal auto­ri­sieren, würde ich es anders machen.

Inwie­fern wird ein fal­sches Bild von Ihnen gezeichnet?
Weil der Zuschauer mich nur als auf­ge­drehten Moti­vator erlebt, der die Kabi­nen­an­spra­chen raus­haut. Die Leute bekamen den Ein­druck, Jogi habe die Taktik gemacht und ich sei für die Brand­reden zuständig gewesen. So war es aber nicht.

Wie war es denn?
Natür­lich habe ich beim Trai­ning auch Ausführungs­verantwortung wei­ter­ge­geben, aber letzt­lich habe ich das gesamte Pro­jekt, die gesamte Linie, Trai­nings­leit­fäden und Auf­stel­lungen ver­ant­wortet. Der Film zeigt die Emo­tionen, das ist auch gut. Dazu gehören logi­scher­weise auch meine Anspra­chen. Die waren aber nur eine win­zige Nuance. Wir hingen bei dieser WM ständig am sei­denen Faden, wir waren noch nicht so gut, um selbst­be­wusst in jedes Spiel zu gehen. Es war also wichtig, den Jungs mit auf den Weg zu geben, dass sie Fehler machen, aber nicht den Mut ver­lieren dürfen.

Würden Sie auch Ihr Enga­ge­ment beim FC Bayern im Nach­hinein noch mal über­denken?
Nein.

Ihr guter Ruf hat dort beträcht­lich gelitten.
Aber die Erfah­rung hat mich wei­ter­ge­bracht. Ich hatte den Glauben, dass ich die dor­tigen Struk­turen auf­bre­chen könnte. Doch der Ein­zige, der diesen Glauben mit­ge­tragen hat, war Karl-Heinz Rum­me­nigge. Natür­lich würde ich im Nach­hinein einiges anders machen, aber es gab und gibt auch vieles, was ich bei Bayern ange­fangen habe und von meinen Nach­fol­gern über­nommen wurde.

Zum Bei­spiel?
Ich bin eigent­lich kein Mensch, der in sol­chen Recht­fer­ti­gungs­stra­te­gien denkt. Aber mir fällt als Erstes das Leis­tungs­zen­trum ein. Und ich bin stolz auf jeden jungen Spieler, den ich gegen den Wider­stand einiger hoch­ge­zogen habe: Holger Bad­s­tuber, Thomas Müller, Diego Con­tento, Mehmet Ekici. Aber das Sprich­wort gilt: Sei zur rechten Zeit am rechten Ort.“ Das war ich in Mün­chen sicher nicht.

Dabei haben Sie schon oft ein gutes Timing gehabt.
Das Timing, im Jahr 2004 mit der Dead­line WM 2006“ den Job beim DFB zu über­nehmen, passte. Hätte ich damals vier Jahre Vor­lauf gehabt, wäre es wohl zu lang gewesen, weil die Reformen einigen im Ver­band zu extrem geworden wären. Bei Bayern waren die Ver­ant­wort­li­chen schon früher nicht mehr bereit, den von mir ein­ge­schla­genen Weg wei­ter­zu­gehen. Kurz: Für mich war bei Bayern die Zeit noch nicht reif und auch die Mann­schaft war es noch nicht.

Dass die Bayern-Bosse zur Unge­duld neigen, wussten Sie aller­dings auch aus Ihrer Zeit als Aktiver dort.
Wenn Cha­rak­tere nicht zuein­ander passen, muss man sich trennen. Das ist auch nicht schlimm. Mit dem Ver­bands­boss der USA, Sunil Gulati, ver­bindet mich eine enge Freund­schaft, auch meine Ver­bin­dung zu Ger­hard Mayer-Vor­felder beim DFB war ver­trau­ens­voll – und das hat sich aus­ge­zahlt. Ohne MV hätte es das Som­mer­mär­chen“ nie gegeben.

Wie meinen Sie das?
Wenn er sich nach dem 1:4 im Test­spiel gegen Ita­lien im März 2006 nicht hinter mich gestellt hätte, wäre ich wohl ent­lassen worden. Da haben einige Leute im Hin­ter­grund gear­beitet, und es standen schon Nach­folger in den Start­lö­chern.

Wer denn?
Das ver­rate ich Ihnen mal bei einem dop­pelten Espresso.

Wäre es nicht schlauer gewesen, nach der WM 2006 statt des Enga­ge­ments in Mün­chen einen klei­neren Klub zu über­nehmen, wo sie Dinge ent­wi­ckeln hätten können?
Es gab Ange­bote von Klubs aus der Pre­mier League, aber letzt­lich habe ich mich für einen Verein ent­schieden, zu dem ich eine emo­tio­nale Bin­dung hatte. Schließ­lich hatte ich den FC Bayern schon als Spieler erlebt.

Auch diese Zeit hatte im Streit geendet.
Aber ich bin dort Meister und UEFA-Cup-Sieger geworden. Ich emp­fand es nun mal als große Her­aus­for­de­rung, mich auf dieser Ebene als Ver­eins­trainer zu beweisen. Ver­gessen Sie nicht: Die Bayern-Ver­ant­wort­li­chen sind zu mir gekommen. Sie wollten meine Ideen und dass ich ein neues Denken in den Klub bringe.

Sie waren geschmei­chelt.
Wer wäre das nicht?

In Inter­views hat Uli Hoeneß Sie nach der Ent­las­sung als schlechten Trainer“ bezeichnet.
Solche Aus­sagen resul­tieren aus einer mensch­li­chen Bezie­hung, bei der anschei­nend einige Sta­chel richtig tief sitzen. Es liegt nicht in meiner Natur, seine Arbeit und sein Denken zu beur­teilen, und ich werde mich auch nicht dazu ver­leiten lassen. Er hat sich dafür ent­schieden, über andere öffent­lich zu urteilen, ich mache das nicht.

Ist die gegen­wär­tige Domi­nanz der Bayern schlecht für den deut­schen Fuß­ball?
Sie sollte für jeden Klub, der nicht auf diesem Niveau spielt, ein Ansporn sein. Es gibt für jede Krise in der Liga satt­haft Gründe. Beim VfB Stutt­gart oder beim HSV spielen per­sön­liche Eitel­keiten, wirt­schaft­liche Dinge, was auch immer, eine Rolle. Es ist traurig, dass dort nur die Ober­fläche bear­beitet – sprich: der Trainer ent­lassen – wird. In vielen Klubs geht man nie tiefer in die Struktur und ver­sucht, dort Pro­bleme auf­zu­de­cken. Des­halb steht der FC Bayern zurecht dort oben.

Jürgen Klins­mann, wer wird Welt­meister?
Bra­si­lien.

Wieder kein großer Titel für Deutsch­land?
Natür­lich würde ich es mir sehr wün­schen, aber Bra­si­lien hat die Vor­aussetzungen, um sich auf die Gege­ben­heiten am besten ein­zu­stellen.

Kurz vor der WM 2006 sagten Sie in 11 FREUNDE: Wenn an einem ganz beson­deren Tag alles optimal läuft, dann, viel­leicht, können wir auch große Gegner schlagen.“ Am Ende gewann Deutsch­land bei der WM gegen Argen­ti­nien. Mit anderen Worten: Können die USA bei der WM 2014 theo­re­tisch auch Deutsch­land schlagen?
(Nickt heftig.) An einem beson­deren Tag ist im Fuß­ball alles mög­lich.