50 Millionen Euro gingen für Arsenals neues Aushängeschild Mesut Özil über den Tisch. Die Fans applaudieren, wir nicht. Denn dieses Budget hätte man sinnvoller investieren können.
Was musste sich Arsène Wenger anhören in den vergangenen Wochen. Die Trainerikone aus dem Elsass, seit 17 Jahren in Diensten des englischen Spitzenklubs FC Arsenal, ist der Wegbereiter des One-Touch-Football, die graue Eminenz der Premier League. Doch über alle Zweifel erhaben ist Wenger im Emirates nicht mehr: Der letzte Titel des FC Arsenal liegt acht Jahre zurück, die Erinnerungen an die „Invincibles“ um Patrick Vierira, Thierry Henry und Kolo Touré aus der Spielzeit 2003/04 verblassen. Wengers Kredit schwindet.
Für Medien und Fans liegt die Ursache auf der Hand: Das Zaudern Wengers auf dem Transfermarkt. Der traditionell zurückhaltende Coach tat sich diesen Sommer besonders schwer, seinen um ganze 17 Ergänzungs- und Jugendspieler verminderten und damit durchaus bedürftigen Kader um neues Spielermaterial zu ergänzen. Der englische „Telegraph“ beschuldigte ihn eines „beinahe pathologischen Widerwillens, ein paar Millionen zu viel zu zahlen“. Gemeint sind die paar Millionen Euro, die vom Marktwert eines Akteurs abweichen, ohne die man einen Spieler aber nicht bekommt.
„Wallet-shy Wenger“
Dabei hatte Arsenal-Geschäftsführer Ivan Gazidis vollmundig eine „Eskalation der finanziellen Feuerkraft“ angekündigt: Mindestens 80 Millionen Euro stünden zur Verfügung. Die Fans rieben sich die Hände. Während sich die Konkurrenz von London über Liverpool bis Manchester in den folgenden Wochen aber sündhaft teurer Neuverpflichtungen erfreute, gaben die Punkte auf Wengers Einkaufsliste (wie Yohan Cabaye, Gonzalo Higuain oder Luis Suárez) dem FC Arsenal nach und nach einen Korb. „Wallet-shy Wenger“, der übertrieben knauserige Wenger, erntete Hohn und Spott: Fans des Lokalrivalen Tottenham, diesjähriger Ausgabeprimus der Insel, lichteten ihn beim örtlichen Bäcker ab. Die bissige Bildunterschrift: „Spend some fucking money!“ Nach der 1:3‑Auftaktpleite gegen Aston Villa schlug ihm dieser Slogan vielfach in Sprechchören entgegen.
„Die Leute sagen: ›Kauf’ Spieler, kauf’ Spieler, kauf’ Spieler.‹ Aber wen? Wenn wir keine Spieler kaufen, dann nur, weil wir keine finden“, so der angefressene Trainer.
Alternativen zu Giroud? Sanogo und Bendtner
Nun hat Arsène Wenger einen Spieler gefunden. Er hat das „verdammte“ Geld in die Hand genommen. Für Mesut Özil – Arsenals neuen Rekordtransfer. Im Zirkus Real Madrid war Özil nach dem Durchbruch in den Verhandlungen um Vorzeigeathlet Gareth Bale letztlich „der eine Artist zu viel“, wie die Süddeutsche Zeitung heute treffend festhielt.
Özil wechselt also zum FC Arsenal. Rund 50 Millionen Euro lassen sich die „Gunners“, die sich auf den guten Zuspruch von Özils DFB-Kollegen Lukas Podolski und Per Mertesacker verlassen konnten, seine Dienste kosten. Auch, wenn ein Transfer dieser Größenordnung einem Statement des FC Arsenal gleichkommt – einen Stürmer von Weltformat, einen wie Higuain oder Suárez, nach dem ursprünglich gefahndet wurde, hat man nicht an die Holloway Road lotsen können. Den Schmerz darüber kann selbst einer von der Kragenweite und Reputation Özils nicht lindern. Denn die Enttäuschung wiegt nach wie vor schwer.
Olivier Girouds vielversprechender Saisonstart kaschiert die Nöte im Sturmzentrum einstweilen. Am vergangenen Sonntag schoss der französische Tanker Arsenal zum Derbysieg gegen Tottenham, das momentane Niveau wird er allerdings nicht über 50 Spiele halten können. Und Alternativen zu Giroud sind im Kader der „Gunners“ rar gesät. Der 20-jährige Yaya Sanogo kam aus der Ligue 2 (vom AJ Auxerre) und wird Zeit zur Akklimatisierung benötigen – keine Startelfoption. Die Alternative Theo Walcott reüssiert eher auf dem rechten Flügel. Genauso wie Podolski, der allerdings ohnehin bis zum Jahresende ausfällt, auf der linken Seite. Bliebe noch das inzwischen 25-jährige „ewige Talent“ Nicklas Bendtner, das Wenger nur hielt, weil er eben keinen ausgesprochenen Stoßstürmer mehr bekam.
50 Millionen Euro teure Verlegenheitslösung
So wirkt der Özil-Deal wie eine Verlegenheitslösung. Wenger musste namhaft einkaufen, Özil wollte die spanische Hauptstadt nach dem fixen Bale-Transfer fluchtartig verlassen. Beide Parteien entkamen ihrer Sackgasse, indem sie gemeinsame Sache machten. Özils Stärken sind nicht von der Hand zu weisen. Er fordert Anspiele ein, kann gegnerische Abwehrketten mit seinen chirurgisch-genauen Pässen sezieren. Dem 24-Jährigen, dem Wengers soziale Wärme und Deutschkenntnisse zu Gute kommen werden, gelangen in drei Spielzeiten als Stammspieler in Spanien 49 Torvorlagen. Reals Fans unterbrachen die Vorstellung von Gareth Bale mit minutenlangen „Verkauft Özil nicht!“-Rufen. Er ist kreative Führungskraft der deutschen Nationalmannschaft, die 2014 zu den absoluten Anwärtern auf den WM-Titel zählen wird. „Fantastisch und dem Arsenal-Stil sehr ähnlich“ umschrieb sein neuer Mannschaftskamerad Jack Wilshere Özils Qualitäten, das Prädikat „Weltklasse“ verlieh Verteidiger Laurent Koscielny. „Wir bekommen einen hervorragenden Fußballer, der uns weiterbringen wird“, meinte Wenger.
Das wird Özil tun, keine Frage. Denn er ist ein begnadeter Spieler. Einer, der „den Unterschied macht“ wie man es im branchenüblichen Sprech verbalisieren würde. Aber für 50 Millionen Euro? Wenn Jack Wilshere, Santi Cazorla und Tomas Rosicky sich um ihn herum arrangieren müssen? Braucht es einen vierten Spielmacher? Einen, der in großen Spielen auf Vereinsebene, mit denen eine Premier-League-Saison gespickt ist, regelmäßig abtaucht? Die „Marca“ schrieb bei Özils Leistungen in den „Clasicos“ gegen Barcelona wiederholt von „kläglichen Darbietungen“. Mit 50 Millionen Euro hätte Arsenal andere Kader-Löcher stopfen können: Das im Sturmzentrum und auf dem linken Flügel. Oder jenes in der derzeit mit zwei Spielern (Kapitän Thomas Vermaelen fällt wieder mal langfristig aus) augenscheinlich unterbesetzten Innenverteidigung. Den Fans ist das vorerst egal. Denn Wenger hat endlich das verdammte Geld ausgegeben.