Beim Regionalliga-Relegationsspiel zwischen RB Leipzig und den Sportfreunden Lotte erfahren die Gäste eine einmalige wie überraschende Welle der Solidarität. Gut 1000 Fans aus ganz Ostdeutschland verbrüdern sich für einen Abend im Auswärtsblock – nicht unbedingt für Lotte, aber immer gegen Red Bull.
Dass der Fanbus aus Lotte etwas spät dran ist, fällt an diesem Mittwoch in der gut gefüllten Leipziger Arena zunächst gar nicht auf. Schon mit dem Anpfiff des Relegations-Hinspiels haben sich mehr Leute im riesigen Auswärtsblock eingefunden, als sonst zu einem normalen Regionalligaspiel der Sportfreunde Lotte kommen.
Erst als die ünfzig Lotter Fans, dezent blau-weiß eingekleidet, schließlich mit zehn Minuten Verspätung den Weg in ihren Block finden, erwarten die menschlichen Platzhalter sie mit einer herzlichen Überraschung: Mit Standing Ovations werden die hartgesottenen Auswärtsfahrer begrüßt. Die fast 1000 ihnen wildfremden Menschen hatten einen kürzeren Anfahrtsweg, sie kommen aus Halle, Erfurt oder eben Leipzig – und sie sind bereit, in neutraler dunkler Kleidung, die Sportfreunde aus Lotte lautstark zu unterstützen.
Das Motto „Getrennt in den Farben – Vereint in der Sache“
Grund sind nicht unbedingt Sympathien für den kleinen Verein aus der 14.000-Seelen-Gemeinde bei Osnabrück mit dem putzigen Mädchennamen, eine Marketingaktion von Red Bull steckt ausnahmsweise auch nicht dahinter, und bezahlt werden möchten die neuen Anhänger ebenfalls nicht. Sie haben einen anderen Antrieb: Protest gegen RB Leipzig! Unter dem Motto „Getrennt in den Farben – Vereint in der Sache“ möchten sie dem von einem Getränkehersteller gesponsorten Fußball-Projekt maximalen Widerstand leisten und ein Zeichen gegen Kommerz und für Tradition im Fußball setzen.
„Und ihr macht unsern Sport kaputt“, ist dann auch der beliebteste Schlachtruf an diesem Mittwochabend in Richtung der Fans des nicht gerade geschätzten Emporkömmlings mit Brausegeschmack – dicht gefolgt von einem simplen, aber in seiner Einigkeit überraschenden Gesang: „Sportfreunde Lotte“.
Der zwiespältige Umgang mit RB Leipzig
Fans des Stadtrivalen 1. FC Lokomotive Leipzig sowie der beiden Drittligisten Hallescher FC und Rot-Weiß Erfurt hatten die Aktion vor allem via Facebook initiiert, Anhänger vieler vorrangig ostdeutscher Vereine folgten. Auch wenn die Vorgabe war, auf erkennbare Fanutensilien zu verzichten, sind dank Schriftzügen auf Shirts und Jacken auch Menschen aus Chemnitz, Dresden oder Jena auszumachen. Dabei wird gerade am Beispiel des FC Carl Zeiss Jena deutlich, wie widersprüchlich und zwiespältig der Umgang mit RB Leipzig im Osten Deutschlands ist.
Denn aus sportlicher Sicht würde Jena von einem Aufstieg Leipzigs profitieren. Das enge Nadelöhr in Richtung dritte Liga und somit Profifußball würde andernfalls auch in der nächsten Saison von Red Bull verstopft. Schon in dieser Spielzeit dominierte Leipzig – nach zwei gescheiterten direkten Aufstiegsversuchen – die Liga nach Belieben, setzte sich ungeschlagen und mit 14 Punkten Vorsprung vor Jena durch. Und auch nächstes Jahr erhält nur der Meister der Regionalliga Nordost die Chance, via Relegation aufzusteigen.
Neben Jena würden auch der FSV Zwickau oder 1. FC Magdeburg bald gerne wieder höherklassig spielen. Aber erst wenn RB Leipzig nach oben weg aus der Liga verschwindet, ist ein Aufstieg wieder ein realistisches Saisonziel. In Halle, Chemnitz oder Erfurt würde man dagegen auf die neureichen Leipziger als Ligakonkurrenten trotz sicherlich gut besuchter Ostderbys gerne verzichten.
Im Spiel selber beschränken sich die 1000 Fans auf die Klassiker des Anti-RedBull-Gesangs. Für die ganz große Kreativität – wie etwa beim Ligaspiel von RB bei Jena, als Jenaer Ordner Zaunfahnen mit RB-Schmäh vor der Leipziger Kurve installierten – fehlt es an der Organisation. Der Block ist zwar der Kleidung nach zu urteilen einheitlich schwarz, doch die Vereinsfarben sind zu bunt für konzertierte Aktionen oder Schlachtrufe.
Nach dem späten Treffer zum 2:0‑Endstand von RB Leipzig versuchen sich einige der Protestler an einem Sturm der Leipziger Haupttribüne, brechen aber abrupt ab, als ihnen wohl bewusst wird, dass sie an diesem Tag gar nicht für den eigenen Verein kämpfen. Die fünfzig Lotter Fans sind vollkommen unverdächtig, dabei mitzumachen.
Lottes Trainer: „Solche Chaoten braucht kein Mensch“
Genauso wenig wird ihnen unterstellt, zwei Böller gezündet zu haben, die direkt neben zwei Balljungen detonieren und für einen nächtlichen Aufenthalt der beiden Jugendlichen im Krankenhaus sorgen. So war sich auch Lottes Trainer Maik Walpurgis am Ende gar nicht mehr sicher, ob er den zusätzlichen Support jetzt eigentlich gut finden sollte: „Solche Chaoten braucht jedenfalls kein Mensch.“
Und sollten die Traditionsvereinsfans das Ziel gehabt haben, Sympathien für ihre Protestaktion zu gewinnen, muss man das zumindest im Stadion als gescheitert bezeichnen. Am Ende sangen jedenfalls auch die fast 30.000 Zuschauer, die zu RB hielten: „Und ihr macht unsern Sport kaputt.“