Vier Tore im Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid. Die Gala von Robert Lewandowski war die vielleicht größte Leistung eines polnischen Fußballers seit dem Gewinn der WM-Torjägerkrone durch Grzegorz Lato 1974. In dieser Form gehört der Dortmunder zu den besten Angreifern Europas.
Wann hat man Pepe, die Mensch gewordene Abrissbirne von Real Madrid, schon einmal um Gnade winseln hören? „Du hast jetzt vier Tore geschossen“, klagte der Portugiese kurz vor dem Abpfiff des Rückspiels im Champions-League-Halbfinale gegen Borussia Dortmund, „findest du nicht, dass es reicht?“ Pepe meinte natürlich Robert Lewandowski, der nach vier Treffern noch immer munter durch die Spielhälfte von Real galoppierte.
Einzelkönner wie Lewandowski besitzt doch eigentlich nur eine Mannschaft: Real Madrid
Das 1:4 gegen Borussia Dortmund hat die Welt von Real Madrid kurzzeitig aus den Angeln gehoben. So eine Demütigung ist schon schlimm, wenn es gegen die Branchengrößen aus Mailand, Barcelona oder München geht. Aber Dortmund? Im Selbstverständnis von Real Madrid war so eine Pleite bis vor einer Woche noch unvorstellbar. Noch absurder war diese Klatsche aus Sicht der Madrilenen, weil ein einziger Spieler alle vier Tore geschossen hatte. Solche Einzelkönner hat man, den Rivalen aus Barcelona mal ausgenommen, in den vergangenen Jahren nur bei einem Verein gesehen: Real Madrid. „Königlich“ und „galaktisch“ nennt man sich in Madrid vor allem deshalb, weil die besten Individualisten des Planeten eben hier ihr Geld verdienen: beim größten Klub der Welt.
Robert Lewandowski als „Individualisten“ zu bezeichnen wäre allerdings eine Frechheit und hätte auf der nächsten Pressekonferenz mit seinem Trainer Jürgen Klopp wahrscheinlich eine verbale Ringschlacht zur Folge. Der 24-jährige Lewandowski ist vor allem eines: das Produkt jener europäischen Umerziehung im Fußball, die aus Mittelstürmern angreifende Spielmacher und aus Einzelkämpfern in der Sturmspitze die Sperrspitze der Defensive machten. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen Stürmer nur fürs Toreschießen bezahlt wurden. Am schmerzhaftesten musste diesen Wandel in der jüngeren Vergangenheit Lewandowskis Kollege Mario Gomez erfahren. Der ist der vielleicht begabteste Vollstrecker im europäischen Fußball, ist aber in der Jugend knapp an dieser Umschulung vorbei geschrammt und wirkt deshalb heute bisweilen so unmodern wie Blümchentapeten.
Lewandowski ist anders, interpretiert sein Spiel anders. Im laufintensiven Gegenpressing, den Jürgen Klopp seiner Mannschaft eingeimpft hat, spult der Pole Kilometer ab wie ein Mittelfeldspieler, dient ebenso als Anspielpartner für schnelle Doppelpässe wie für hohe Bälle aus der Abwehr – und soll natürlich weiterhin in erster Linie Tore schießen. In Bestform ist Lewandowski eine explosive Mischung aus genau jenen Zutaten. Körperlich bringt der Stürmer alle Voraussetzungen für einen Spitzensportler mit: 1,84 Meter groß, erstaunlich beweglich, erstaunlich robust, schnell, technisch stark. Weil er so intensiv an seiner Muskulatur arbeitet, hat ihn Mitspieler Nuri Sahin einst „The Body“ getauft.
Madrid winselte tatsächlich um Gnade
Der entscheidende Faktor am gegenwärtigen Erfolg des polnischen Nationalspielers ist allerdings dieser: Lewandowski weiß seine Talente auch gewinnbringend einzusetzen und verfügt über das strotzende Selbstvertrauen, wie es nur ein Stürmer haben kann, der seit Wochen in fast jedem Spiel ein oder mehrere Tore geschossen hat. Es war dieses Selbstbewusstsein, diese Geilheit auf Tore, die Real Madrid vergangene Woche überrollte und einen der besten Verteidiger der Welt um Gnade winseln ließ.
Wie also will Real Madrid das spanische Schreckgespenst aus dem Hinspiel in den Griff bekommen? Dazu befragt antwortete Sergio Ramos, der Welt- und Europameister, 2012 bester Verteidiger der Primera Division: „Es ist klar, dass Lewandowski ein sehr guter Stürmer ist. Hinter einem sehr guten Stürmer steht aber auch immer ein sehr gutes Kollektiv.“ Das ist richtig. Das klingt einleuchtend. Man könnte aber auch einfach sagen, dass Sergio Ramos keine Ahnung hat, wie seine Mannschaft diesen Vier-Tore-Angreifer stoppen soll.