Der Fall dürfte weltweit einmalig sein: Im Juli 2010 wurde der Russe Maxim Molokoedov wegen Drogenschmuggels in Chile zu drei Jahren Haft verurteilt. Heute träumt er von einem Neuanfang als Fußballprofi – denn er läuft momentan mit Sondererlaubnis für Zweitligist Santiago Morning auf.
Die Geschichte des Russen Maxim Molokoedov klingt, als hätte sie ein fantasievoller Krimiautor mit einem Faible für Fußball ersonnen. Im Juli 2010 wurde Molokoedov bei der Zwischenlandung auf dem Flughafen der chilenischen Hauptstadt Santiago festgenommen. Er kam aus Ecuador und hatte versucht, sechs Kilogramm Kokain nach Spanien zu schmuggeln. Versteckt in Kinderbücher.
Als die Handschellen zuschnappten, hätte Molokoedov wohl kaum daran gedacht, dass dies der Wendepunkt zum Guten in seinem auf die schiefe Bahn geratenen Leben gewesen war. Heute ist er seinem Kindheitstraum vom Profifußball näher denn je.
Beim täglichen Kicken in der Haftanstalt ließ Molokoedov seine Gegenspieler nach Belieben aussteigen. Seine feine Technik gepaart mit enormer Schusskraft ließen „El Ruso“, wie Molokoedov von den anderen rund 3000 Häftlingen gerufen wird, schnell zum Star auf dem steinigen Acker des Gefängnisses vor den Toren von Santiago werden.
Das Fußballspielen hatte er in seiner Geburtsstadt Sankt Petersburg beim Klub Dinamo erlernt. Vor seiner Verurteilung als Drogenkurier trug Molokoedov zudem kurzzeitig das Trikot des russischen Zweitligisten FK Pskov 747. Für das Engagement hatte der Sohn eines Polizisten sogar die Schule abgebrochen. Durchsetzen konnte Molokoedov sich allerdings nicht. In zwölf Partien gelang ihm lediglich ein Treffer.
Die Sache mit dem Koks: Eine „schlimme Erinnerung“
Auf einer Reise nach Ecuador im Jahre 2010 wurde Molokoedov dann zum Kriminellen. Eine Tat, die er mittlerweile als „schlimme Erinnerung“ bezeichnet. Er sei damals sehr dumm gewesen, gibt er sich mittlerweile reumütig. Die „Sache“ tue ihm unglaublich leid. Mehr will er dazu nicht sagen. Molokoedov blickt nach vorne.
Spätestens als er sein Team bei der regionalen Gefängnismeisterschaft zum Titel geführt hatte, drang die Nachricht vom talentierten Russen hinter Gittern über die Mauern der Strafanstalt hinaus.
Selbst Chiles damaliger Nationaltrainer Claudio Borghi war bei einem Gefängnisbesuch beeindruckt von Molokoedovs Ballfertigkeit und setzte sich dafür ein, dass dieser eine Chance bei Santiago Morning bekommt. Der Zweitligist hatte bereits Interesse an den Diensten des Russen gezeigt. Nachdem Molokoedov ein Drittel seiner dreijährigen Haftstrafe abgesessen hatte, erhielt er schließlich auch dank seiner guten Führung eine Sondererlaubnis.
Es sei eine besondere Situation, die mit Molokoedovs außergewöhnlichen sportlichen Fähigkeiten zu tun habe, erklärte Gefängnissprecher Max Laulie die Entscheidung. Man verurteile zwar Molokoedovs Tat. „Das Ziel ist aber, Häftlinge zu rehabilitieren. In diesem Fall hat einer die Chance, als Fußballprofi ein neues Leben zu beginnen“, sagt Laulie.
„Weil ich ein Idiot war“
Als sich die Vereinsoberen von Santiago Morning ein persönliches Bild von dem Russen machen wollten, antwortete dieser auf die Frage, warum er hinter Gittern sei: „Por hue’ón“ – „Weil ich ein Idiot war“. Er sprach dabei mit chilenischem Akzent.
Frank Lobos, Coach der Gefängnisauswahl und Leiter eines Rehabilitierungsprogramms, ist überzeugt, dass Molokoedov sich auf einem guten Weg befindet. „Wir haben beschlossen, ihn zu unterstützen. Er soll zeigen, dass der Fußball in der Lage ist, Straffällige zurück in die Gesellschaft zu führen“, sagt der Ex-Profi.
Seit Ende Juli 2012 trainiert Molokoedov nun täglich von Montag bis Freitag mit seinen neuen Teamkollegen. Früh morgens um 7.30 Uhr trifft er auf dem Klubgelände ein und kann den Gefängnisalltag für einige Stunden vergessen. „Ich bin sehr dankbar für diese Möglichkeit. Noch glücklicher werde ich aber sein, wenn ich meine Freiheit endgültig wieder habe“, sagt Molokoedov.
Dabei hätte er längst auf freiem Fuß sein können. Ermöglicht hätte dies ein Amnestiegesetz zur Entlastung überfüllter Gefängnisse. Einzige Auflage: ein zehnjähriges Einreiseverbot in den Andenstaat. Doch Molokoedov wollte bleiben: „Mein Leben ist jetzt in Chile. Ich liebe den Fußball, und ich bin mir sicher, dass ich hier triumphieren werde.“
Bei seinem Debüt in einem Testspiel ließ Molokoedov seinen Worten auch gleich Taten folgen und erzielte zwei Treffer. Ein halbes Jahr läuft sein Vertrag. Zeit, um sich weiter für höhere Aufgaben nach Verbüßung seiner Strafe zu empfehlen.
„Eine zweite Chance muss man nutzen“
Sein Trainer ist voll des Lobes. „Er wäre eine Verstärkung für jede Mannschaft in Chile. Ich habe keinen Zweifel daran, dass er das Zeug zum Profi hat“, urteilt Hernán Ibarra. Mit der kriminellen Vergangenheit seines Schützlings hat er kein Problem. „Im Leben kann man sich irren. Wenn man dann eine zweite Chance erhält, muss man sie nutzen. Und wenn dies durch den Fußball geschieht, der seine große Leidenschaft ist – umso besser“, sagt Ibarra.
Eine zweite Chance, für die Molokoedov hart arbeiten muss. Die Zeit hinter Gittern hat an seiner Kondition gezehrt. An den harten Trainingsbetrieb muss er sich erst wieder gewöhnen. Mit schweren Beinen schleppt Molokoedov sich nun täglich zurück in seine Zelle.
Qualen, die er jedoch gerne in Kauf nimmt. Nicht nur für sein Comeback auf dem Rasen, sondern auch für seine Rückkehr ins Leben. Beim ersten Anlauf als Fußballprofi war er gescheitert und tief gefallen. Seine zweite Gelegenheit will Molokoedov nun nutzen. Fernab der Heimat.
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Kai Behrmann ist freier Journalist und schreibt für 11freunde.de über Fußball in Südamerika.