Christian Eriksen heißt das Top-Talent von Ajax Amsterdam, 2011 wurde er zu Dänemarks Fußballer des Jahres gekürt, heute Abend dürfte er für Borussia Dortmund die größte Gefahr sein. Wir sprachen mit Peter Bonde, dem Co-Trainer der dänischen Nationalmannschaft, über seinen Schützling.
Peter Bonde, Christian Eriksen ist aus der Startelf von Dortmund-Gegner Ajax Amsterdam nicht mehr wegzudenken. Was sind seine größten Stärken?
Christian ist taktisch enorm begabt und auf beiden Füßen gleich stark. So ein Talent sieht man selten. Er kann sich flink und schnell über kleine Flächen bewegen und dank seiner kreativen Spielübersicht kann man ihn auf allen offensiven Positionen einsetzen. Auch in der ersten Angriffslinie gelingt es ihm, noch Chancen vorzubreiten.
Worin ist er unschlagbar?
In seiner Ausdauer, der Junge ist laufstark wie kein anderer. Ich habe gehört, dass er in der ersten Champions-League-Runde von allen Spielern in allen Partien am meisten gerannt sein soll.
Was trainiert man mit einem Spieler, der so jung schon eine solche Qualität aufweist?
Manchmal rennt er zu viel. Als dritter Angreifer sollte er das Spiel länger beobachten, um seine Stärken gezielter einzusetzen. Christian muss sich mehr auf die komplexen Spielzüge konzentrieren. Das klingt vielleicht etwas merkwürdig aus dem Munde eines Trainers, aber manchmal zeigt er zu einfache Kombinationen.
Heute spielt Eriksen mit Ajax gegen Dortmund in der Champions League. Worauf müssen die Dortmunder bei ihm besonders Acht geben?
Sie müssen ihn immer im Blickfeld haben, denn sie können nie wissen, wo er am Ende stehen wird, da er sich überdurchschnittlich viel bewegt. Also muss der BVB die Räume möglichst eng machen. Im ersten Spiel waren die Dortmunder viel zu bescheiden, das können sie besser.
Wie wird das Spiel ausgehen?
Ich denke Ajax hat eine 25-prozentige Chance, etwas aus dem Spiel mitzunehmen. Natürlich hoffe ich auf Ajax wegen den vielen Dänen, allerdings wird es sehr schwer für sie. Ich fürchte, Dortmund geht als Sieger vom Platz.
Wie viele der 25 Prozent sind Eriksen?
(lacht) Da müssen wir wohl in die Ronaldo-Messi-Liga gehen, wenn ein Spieler eine Partie alleine entscheiden kann. So weit ist Christian noch lange nicht.
Eriksens Aufstieg in Dänemark ist vergleichbar mit Götzes in Deutschland. Worin unterscheiden sich die beiden?
Christian bewegt sich auf dem ganzen Feld, während Götze sich nach vorne auf die Angriffsauslösung konzentriert. Er versteht es, seine Mitspieler in Szene zu setzen. Christian ist von den beiden allerdings der größere Teamplayer. Beide könnten sich vom anderen etwas abschauen.
Gab es je Rückschläge für Eriksen?
Nach seiner Teilnahme an der WM in Südafrika hatte er eine harte Zeit. Es gab viele negative Reaktionen nach dem Ausscheiden, der Erwartungsdruck der Fans war einfach zu groß für einen so jungen Spieler. Theo Walcott erlebte dasselbe nach seinem Debüt in der englischen Nationalmannschaft als er erst 17 war. Für junge Spieler ist es ein Ding der Unmöglichkeit, diese Erwartungen zu befriedigen. Aber Christian nimmt es gelassen und ist wieder auf dem richtigen Weg, was in den Champions-League-Partien gegen Manchester City (3:1 und 2:2) gut zu sehen war.
Mit 16 Jahren bekam Eriksen bereits Angebote von Barcelona und Chelsea, entschied sich aber für Ajax. Wer hat ihn beeinflusst?
In Dänemark haben wir eine Tradition: die guten Spieler gehen zu Ajax. Es hatten einige Leute ihre Hände im Spiel, aber Christian ist durchaus selbst clever genug. Er ging zu dem Klub, wo seine Chancen, für die erste Mannschaft zu spielen, am besten standen. Zurzeit stehen sechs dänische Spieler bei Ajax unter Vertrag. Das spricht für unsere Tradition.
Man hat Eriksen schon mit Ajax-Co-Trainer Dennis Bergkamp verglichen. Welchen Vergleich halten Sie für angebracht?
Er ist definitiv kein Pirlo, manchmal sieht er aber aus wie Wesley Sneijder, weil auch er beidfüssig und klein ist. Aber Christian rennt mehr und greift schneller an. Doch Sneijder hat den besseren Blick für das Passspiel und auch eine höhere Vorlagenquote als Christian. Eigentlich gibt es ihn kein zweites Mal, er ist ein Unikat.
Wo sehen Sie ihn in fünf Jahren?
Wenn er sich so weiterentwickelt, gibt es kein Team auf der Welt, in dem er nicht spielen könnte. Ich bin allerdings nicht sicher, welche Rolle er innehaben wird.
Welche Rolle würden Sie ihm bei Ajax zuschreiben?
Bei uns übernahm er schon mehrere Positionen, aber meistens ist er die Nummer Zehn. Ajax setzt ihn in der Champions League meistens als Neuner ein, aber ich denke er muss als Nummer Acht auf den Flügeln oder als Zehner gefördert werden.
Wie würden Sie seinen Charakter beschreiben?
Er ist ein bescheidener junger Mann. Er ist mit sehr wenig zufrieden, ihm reicht es auf dem Feld zu sein und nach den normalen Trainingseinheiten Freistöße zu üben. Kein Wunder, dass er so stark ist, wenn er sich stundenlang so fasziniert mit dem Ball beschäftigt! Er liebt dieses runde kleine Ding.
Hatten Sie schon Mühe, ihn vom Ball zu trennen?
Einmal rannte er nach dem Training noch lange auf dem Feld umher, obwohl seine Mannschaftskollegen schon in der Kabine waren. Dann musste ich ihm zurufen: „Komm endlich Christian, der Boss geht in zwei Sekunden. Wenn du noch einmal aufs Tor schießt, gibt’s eine Geldstrafe!“
Sein Talent wurde in der Jugend von Ajax gepflegt, wo schon begabte Techniker wie Bergkamp hervorgegangen sind. Kennen Sie deren „Geheimnis“?
Sie haben eine klare Philosophie. Am besten ist das am Training der kleinen Kinder bei Ajax zu beobachten: Der Ball steht immer im Vordergrund. Das Ziel ist es, den Ball so oft wie möglich zu berühren. Wenn sie alt genug sind, konzentrieren sie sich auf ihr taktisches Spiel.
Was denken Sie über die Nachwuchsarbeit von Deutschland?
Die Deutschen hatten zum Beispiel zu Sammer-Zeiten klare Leitsätze für die Jugend des Nationalteams. Und Joachim Löw hat eine gute Einstellung: „Wir wollen nicht mehr reagieren, sondern agieren“. Das sieht man an so phantastischen Spielern wie Marco Reus, Mario Götze, Mesut Özil und Sami Khedira. Sehr zum Leid von Dänemark entwickelt sich der deutsche Fußball rasant, zudem habt ihr eine große Auswahl an Spielern. Wir werden es in den nächsten Jahren schwer haben, wenn wir nicht mehr Christian Eriksens „produzieren“.
Und wie bekommt man mehr Spieler seines Formats?
Wir sind auf einem guten Weg: Erst im letzten Länderspiel hat einer unserer U‑19-Spieler seine ersten zehn Minuten für die erste Mannschaft gespielt. Den Übergang von der U‑19 zum Nationalteam nennt Morten Olsen die „rote Linie“, das ist ein wichtiger Schritt.
Kennen Sie Eriksens Zukunftsambitionen?
Ich bin nicht so begeistert von Spielern, die nach zwei Partien für einen Klub bereits von Real und Liverpool schwärmen. Ich bin froh, dass Christian zufrieden ist, für Ajax zu spielen. Diese Bodenständigkeit gehört zu seinen Qualitäten.
Er wurde in Dänemark und den Niederlanden schon mehrfach ausgezeichnet: Dänischer U‑17-Spieler des Jahres, Niederländisches Talent des Jahres, Bronzener Schuh in der Eredivisie und Dänischer Spieler des Jahres. Welcher Preis würden Sie ihm geben?
Natürlich ist er noch nicht soweit wie Allan Simonsen in den Siebzigern, aber mit 19 Jahren schon bester dänischer Spieler zu sein, ist eine Leistung. Wenn er es sieben Jahre hintereinander bleibt, könnte er der Zlatan Ibrahimovic Dänemarks werden.
Peter Bonde spielte in seiner Karriere 400 Partien in der obersten dänischen Liga. Schon 20 Jahre lang arbeitet der 54-Jährige als Trainer und war fünf Jahre lang technischer Leiter des dänischen Fußballverbandes. Seit sieben Jahren ist er Co-Trainer der dänischen Nationalmannschaft unter Morten Olsen.