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Die Zahl meiner Sta­di­on­be­suche bei Fuß­ball­welt­meis­ter­schaften ist über­schaubar. Wenn man die WM 2006, bei der ich beruf­lich war, außen vor lässt, waren es genau drei. Einer davon ist zu ver­nach­läs­sigen, es han­delte sich um das Spiel Deutsch­land gegen Iran bei der Welt­meis­ter­schaft 1998, wo die Deut­schen mit Jörg Hein­rich, Michael Tarnat und Chris­tian Wörns in der Start­for­ma­tion antraten. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Ach ja, das Spiel endete 2:0, was aber haupt­säch­lich der höf­li­chen Stüm­perei der Iraner zu ver­danken war. Wenn mir etwas von diesem Spiel im Gedächtnis geblieben ist, dann circa 200 ste­reotyp aus dem Halb­feld geschla­gene Flanken von Tarnat, die alle Oliver Bier­hoff nicht fanden. Falls jemand mal wieder der Nost­algie anheim­fällt und meint, früher sei alles besser gewesen, kann er die deut­sche Mann­schaft bei der WM 1998 nicht meinen. Oder aber er hat einen tüch­tigen Hasch­mich.

Einige Tage später reiste mein Freund KL mit seiner Freundin an, und wir beschlossen nach Mar­seille zu fahren, um das Vier­tel­fi­nale Hol­land gegen Argen­ti­nien zu sehen. Leider hatten wir keine Karten. Nun war auch sei­ner­zeit schon das Phä­nomen des Schwarz­marktes bekannt, allein: Das Pro­blem waren die Preise. Man hatte ja damals kein Geld. Wäh­rend ich mit meinem ein­drück­li­chen Iran-Erlebnis im Rücken den Gelas­senen gab, durch­kämmte KL wie ein hung­riges Frett­chen die Gegend rund um das Stade Vélo­drôme. Eine halbe Stunde später kam er wieder und gri­mas­sierte stark. Offenbar hatte er statt Fuß­ball­karten Kokain erworben und gleich kon­su­miert. Er packte mich am Kragen und rief: Habe… Angebot… ein­ge­holt… Karte… 1000… Francs! Machen!“ Ich sagte, puh, 1000 Francs…, das ist aber ne Menge Holz.“ KL ließ nicht locker: Los, machen!“ Ich sagte, puh, lass mal lieber noch ein paar Minuten warten.“ KL aber gri­mas­sierte stärker und schrie: Wenn wir das nicht machen, bist du nicht mehr mein Freund!“ Ich folgte ihm in einen Hin­terhof und wir erwarben zwei Karten für 2000 Francs. 

Und, wie viel habt ihr bezahlt?“

Als wir den Tri­bü­nen­platz ein­nahmen, sahen wir, wie unsere Freun­dinnen, Son­nen­brille im Haar, lässig den Nach­bar­block enterten. Ich sagte, puh, ob die wohl genauso viel bezahlt haben wie wir?“ Doch KL winkte nur unwirsch ab. Als wir nach dem Spiel, das 2:1 für Hol­land endete und – soviel his­to­ri­sche Gerech­tig­keit muss sein – jede Cen­time wert war, die Frauen wieder trafen, fragte ich: Und, was habt ihr so bezahlt?“ Wenigs­tens haben sie uns abends zum Essen ein­ge­laden.

Acht Jahre zuvor war es mein Freund Volker, der einen schweren mate­ri­ellen Ver­lust erlitt. Die Tickets für das Ach­tel­fi­nale Deutsch­land gegen Hol­land in Mai­land hatten wir uns im Vor­feld besorgt und zuckelten in einem Zug nach Ita­lien, der im Ver­lauf einer Nacht von meh­reren hun­dert deut­schen Fans fröh­lich dekon­stru­iert wurde. Ein Quar­tier hatten wir nicht gebucht und so bum­melten wir den ganzen Tag durch die lom­bar­di­sche Metro­pole, bis wir am Abend mit unseren Rück­sä­cken am Sta­dion vor­stellig wurden. Wäh­rend ich pro­blemlos pas­sierte, geriet Volker in einen Dis­senz mit dem Sicher­heits­per­sonal. Ja, was ist das denn, Signore?“, echauf­fierte sich der Wach­mann und för­derte ein Fläsch­chen Davidoff Cool Water zutage. 

Volker wirkte hilflos, es konnte ja jeder sehen, was das war. Dass er auf der 48-stün­digen Reise olfak­to­ri­sche Min­dest­stan­dards wahren wollte, wurde ihm nun zum Ver­hängnis. Der Wach­mann kon­fis­zierte das Duft­wasser, das mein stu­den­ti­scher Freund sich durch viele Wochen Wasser und Brot vom Munde abge­spart hatte, um mehr Schlag bei den Frauen zu haben, und stellte es auf einen Mau­er­sims. Der Anblick dessen, was dort lagerte, war über­wäl­ti­gend: ein ganzes Heer aus Cool Water, Fah­ren­heit und Drakkar Noir, also allem, was man damals so auf­trug. Volker blickte dem Fläsch­chen traurig hin­terher wie einer auf ewig ent­schwin­denden Geliebten, und ein biss­chen war es ja auch so. Ver­dammt, was glaubt der denn, was ich mit meinem Cool Water mache!?“, jam­merte mein Freund. Werfen“, ant­wor­tete ich. 

Keine zehn Meter ent­fernt von mir spuckte Rij­kaard Völler an

Danach mussten wir uns aufs Spiel kon­zen­trieren, das sehr auf­re­gend war. In der 22. Minute blies der Nie­der­länder Frank Rij­kaard keine zehn Meter von uns ent­fernt seinen Spei­chel dem deut­schen Natio­nal­helden Rudi Völler ins Haupt­haar, was zu einer undurch­sich­tigen Gemenge­lage führte und den Platz­ver­weis beider Spieler zur Folge hatte. Es war ein ein­ziges Tohu­wa­bohu. 

Als wir nach dem ner­ven­zer­fet­zenden 2:1 die Tri­büne ver­ließen, war die Duft­was­ser­armee ver­schwunden. Mai­lands Sicher­heits­kräfte werden auf Monate hinaus außer­ge­wöhn­lich gut gero­chen haben. Ich wollte Volker trösten, doch er fiel mir ins Wort. Wir müssen dar­über nicht dis­ku­tieren“, sagte er. Keine Gewalt ist auch keine Lösung. Ich hätte natür­lich geworfen.“ Später kaufte er sich am Bahnhof eine Fla­sche Tabac for Men“.