Wer zu Moritz Volz will, muss vorbei an der Kräutermakrele. Es riecht nach Fisch und Frittierfett, aus der Theke lockt eine rote Bouillabaise. „Fische-Schmidt“ ist ein kleiner Laden für Meereskost am Eppendorfer Baum. Ein ungewöhnlicher Ort für eine Buchpräsentation. In der Küche hantiert Moritz Volz mit Schürze, Kochlöffel und Topflappen, kostet, schmeckt, schüttelt den Kopf. „Mehr Vinegar, mehr Salz.“ Der 29-Jährige brät höchstpersönlich die Fish’n’Chips für die versammelten Menge aus Journalisten. Es war seine Idee. In diesem Engagement an den Herdplatten und in der Location kündigt sich schon an, was „Unser Mann in London“, das Buch, zur Hälfte Biografie, bestätigt: Moritz Volz ist kein gewöhnlicher Fußballprofi.
Mit 16 Jahren wechselte Volz 1999 vom FC Schalke 04 zu Arsenal London. Heute Usus im Fußball, schlug der Transfer damals hohe Wellen. Der DFB-Jugendsekretär schimpfte über „Kinderhandel“, der FC Schalke 04 sah in Arsenals Werben gar „ein unmoralisches Angebot“. Bis dato war es normal gewesen, dass deutsche Talente zur Schule gingen, alsbald eine Lehre anfingen und vier Mal täglich in der Jugend eines Bundesligisten kickten. Volz‘ Sprung auf die Insel ließ das gemütlich-familiäre Konzept zusammenbrechen wie ein Kartenhaus. Die jungen Robert Huth, Thomas Hitzlsberger und Eugen Bopp folgten ihm nach und begründeten eine Entwicklung, die seither kontrovers diskutiert wird. Zuletzt schrieben sich, im Sommer 2011, Serge Gnabry (VfB Stuttgart) und Leander Siemann (Hertha BSC) ein auf der Academy der Gunners.
Britischer Brachialhumor statt German Spießigkeit
Moritz Volz rührt mit dem Löffel durch einen schweren, grünen Brei, die Kamera von SAT.1 zoomt ganz dicht an die pürierten Erbsen. Was das denn jetzt genau sei, fragt der Reporter. „Mushy Peas, auf die kam ich erst gar nicht klar in England“, antwortet Volz. Kurze Pause. „Da musste ich erst reinwachsen.“ Reinwachsen, das Motto der elf Jahre auf der Insel. Denn einfach hatte es der Neue anfangs nicht in Arsenals Jugend. Die Mitspieler neckten den plötzlichen Konkurrenten, riefen ihn „He-Man“. Der Vergleich mit der blonden, schweigsamen Comicfigur sollte nichts anderes ausdrücken als: du blöder Deutscher.
Volz schluckte die Sticheleien und reagierte, vielleicht typisch deutsch, mit noch mehr Einsatz im Training. Nur mit hochheiligem Ernst kam man weiter, so hatten es ihn doch seine deutschen Trainer gelehrt. Der Eifer integrierte ihn auf fußballerischer Ebene. Zwischenmenschliche Barrieren aber überwand er erst, als er der German Spießigkeit entsagte und etwas Urbritisches lernte: das banter.
Banter beschreibt bissige Spitzen gegen eine Person, oft unter der Gürtellinie. Die Erfahrung mit dem britischen Brachialhumor prägte Volz, zugleich begründete sie seine unwahrscheinliche Popularität auf der Insel. Denn mehr noch als das banter selbst achten die Briten auf die Reaktion darauf. Der Siegener sah irgendwann ein, dass er an seinem Klischee vom Deutschen nichts ändern konnte. Also beschloss er, es zu bestätigen, zu überspitzen, zu persiflieren. Das Schild der Selbstironie wurde zum ständigen Begleiter. Es feihte ihn gegen Spott, gegen Hitler-Witze, mehr noch, es trug ihm Anerkennung und Freundschaften ein. Der Verteidiger baute sich eine Homepage auf, die vor feinem Witz und zynischen Anspielungen nur so strotzte.
„The Hoff“ durfte nicht fehlen in der Klischee-Schublade
Er beriet englische Fans vor dem Friseurbesuch in Deutschland („Where can I get my mullet highlighted?“) und beim modischen Zwiespalt („Can I wear my sandals without socks?“), bloggte skurrile Beobachtungen aus dem Alltag und posierte als Baywatch-Hasselhoff mit Brusthaartoupet und roter Badehose. Einer Zeitung sagte er: „Der Hoff ist mein Held. Er ist ein Geisteszustand, eine Art höhere Kraft. Die Hoffheit ist überall.“ Die britischen Medien lobten die Satire in den Himmel. Der ehemalige U‑Nationalspieler wurde gefeiert für seinen Mut, auch über sich lachen zu können. Hart gegen andere, humorvoll gegen sich selbst. Aus dem ernsten Westfalen war ein lustiger Deutscher geworden!
Auch jetzt noch, nach der Rückkehr in deutsche Gefilde, kann der St.Paulianer nicht ohne Ironie. Als die Journalisten die Info, der Nun-Hamburger halte noch immer eine Wohnung in teuren London, mit Raunen und lautem Hört-Hört quittieren, sagt Volz, ohne eine Miene zu verziehen: „Deswegen muss jetzt das Buch rauskommen. Sonst wird es finanziell knapp.“
Ryan Giggs, vergessen hinter Mehl und Milch
„Hast du noch ‚ne Orange, Fischi?“ Fischi hat keine Orange mehr, also hastet Moritz Volz zum Vorratsschrank, holt eine glänzende Frucht aus dem gekühlten Raum. Wie selbstverständlich bewegt sich der Spieler vom FC St. Pauli über die weißen Kacheln der Küche, weiß genau, in welchen Schubladen er nach Gabeln suchen muss und wo die Servietten verstaut sind. Mit dem Inhaber freundete er sich nach seinem Umzug in die Hansestadt an. Mittlerweile organisiert Fischi das Saisongrillen des Kiezclubs.
Die Begeisterung für Küche und Kochen wurde natürlich auch in London geboren. Von Rob, dem Arsenal-Koch, ließ sich Volz Rezepte mitgeben, und im „Zuma“, einem japanischen Feinschmecker-Restaurant, verbrachte er vier Abende in einer Woche als Praktikant – neben seiner Hauptbeschäftigung als Fußballprofi für den FC Fulham, versteht sich. Vor den Partien buk er Kuchen, um seine Nervosität zu kanalisieren. „Kuchenbacken war nicht nur eine Ablenkung, es entspannte“, sagt Volz. Neben Mehl- und Zuckerbergen schrumpften die Flankenläufe von Ryan Giggs. Mit den fertigen Kreationen belohnte er die Kollegen nach dem Abpfiff, die Kabine stürzte sich auf die Kuchen. Später am Dienstag liest Volz vor aus seinem Buch. Ein ganzes Kapitel widmet sich der englischen Küche und ihrem schlechten Ruf. Der Autor lümmelt in einem Ledersessel, bestrahlt von einer Stehlampe. Er trägt immer noch seine weiße Schürze.
Mit Klapprad zum Craven Cottage
Volz wohnt in Eppendorf, zu „Fische-Schmidt“ sind es nur wenige Meter. Heißt: Moritz Volz ist heute zu Fuß gegangen. Warum das von Interesse ist? Weil sich der Mann mit den blauen Augen in England nicht nur als Kabarettist 2.0 einen Namen machte, sondern auch als Radfahrer. In London, der Stadt der Staus und teurer Limousinen, erstand der lustige Deutsche ein Klapprad. Derweil die Kollegen im Benz oder Porsche auf den Parkplatz dröhnten, klingelte Volz mit seinem Trek F600 durch die Fanmenge gen Craven Cottage. „Wenn das nächste Mal wieder jemand über diese ach so verzogenen und viel zu gut bezahlten Fußballprofis herzieht, denken Sie an Moritz Volz“, schrieb The Times romantisch. „In der Welt der Range Rover fährt er mit dem Klapprad zu Heimspielen.“ Das pantherfarbene Vehikel wurde berühmter als sein Besitzer. Für das Magazin Four-Four-Two probte der Kicker den Bunny Hop, vor dem FA-Cup-Spiel gegen die Tottenham Hotspurs radelte er mit Skysports die Straße nach Wembley ab. Und auf iTV musste Volz beweisen, wie schnell er das Gefährt entfaltet kann. Er schaffte es in weniger als zehn Sekunden.
Der Fußballerfan, der Fanfußballer
Es gäbe viele Geschichten zu erzählen über Moritz Volz. Kuriose, sympathische, lustige und ernste. Über den Tag, als er im Spiel gegen Chelsea das 15.000. Tor der Premier League schoss und am selben Abend für sich und seine Freundin das Dinner im Supermarkt kaufte. Darüber, dass Volz immer mit herausgestreckter Zunge jubelte, obwohl er doch die Mick-Channon-Windmühle hatte machen wollen. Über den Kolumnisten Volz bei der seriösen „Times“. Über den ewigen Fan Volz, der sich 2009, obwohl zu der Zeit ohne Verein, beim Europa-League-Finale mit Fulham-Fans erst den Block und später auch die Bänke am Hamburger Flughafen teilte. Der nach wie vor mit dem FC Arsenal fiebert, obwohl Wenger ihn dort aussortierte, und noch heute, ein Jahrzehnt später, seine Arsenal-E-Mail-Adresse verwendet. Oder über Volz, den Denker, der sich durch Bücher frisst, über Gentrifizierung debattiert und schon nach drei Monaten auf St. Pauli alle Jugendspieler beim Namen kannte. Wie gesagt, ein reicher Fundus. Aber es ist spät in Hamburg und Moritz Volz müde. Er hat gekocht und frittiert und gelesen und serviert.
He’s a German in West-London
Es braucht vielleicht nur eine Episode, um zu begreifen, dass dieser Mann kein ganz normaler Fußballprofi ist. Er war nicht der einzige Deutsche in der Geschichte der Premier League. Mit seinem Humor und seiner Art aber hat er den größten Eindruck hinterlassen. Michael Ballack traf häufiger ins Tor, Hitzlsberger wurde gefürchtet für seinen linken Hammer – aber nur Volz widmete die BBC eigens einen Song, getextet auf die Melodie von Stings „Englishman in New York“:
See him cycling down the Fulham Road
his German sausage in his hand
He plays football
but he hardly ever scores
He dreams of Knight Rider and the fatherland
Ja, ja, he is an alien
a humorous Westphalian
He is a German in West-London
Spricht man Moritz Volz auf das Lied an, tut er, was ihn die Insel zu tun gelehrt hat in solchen Momenten: Er lacht. Über das Lied. Und über sich.