FIFA-Chef Joseph Blatter ist Mitglied, der FC Chelsea und ManU sind es auch, und selbst vom FC Bayern hängt ein Wimpel im Klubraum. Keine Frage, der FC Sheffield hat prominente Freunde in aller Welt. Da kann er vielleicht damit leben, dass sich der lokale Sender „BBC Radio Sheffield“ im „Football Heaven“ vor allem auf die lokalen Größen Sheffield United und Wednesday konzentriert. Immerhin hat der frisch in die Northern Premier League, Division One North, und damit in die achte Klasse aufgestiegene Amateurverein seit einiger Zeit eine erstklassige PR-Maschinerie angeworfen. Sie soll den unique selling point des Vereins in alle Welt transportieren, nämlich das Gründungsdatum: den 24. Oktober 1857. Bisher gibt es keinen Klub, der ein früheres Datum vorgetragen hat, und so wuchert der FC Sheffield selbstbewusst mit Marketingpfunden wie „the oldest football club in the world“ oder „Sheffield: where football kicked off“. Jetzt steht der 150. Geburtstag unmittelbar bevor – eine einmalige Gelegenheit, den Verein und die Stadt als Geburtsort des modernen Fußballs auf die Landkarte zu bringen.
„Fußball wird in praktisch jedem Land der Welt gespielt, Millionen Menschen schauen dabei zu – dank Sheffield.“ So absolut und kühn formuliert es Richard Tims, der rührige Vorsitzende des FC Sheffield. Natürlich haben sie in Sheffield nicht das Treten gegen den Ball an sich erfunden, diesen Impuls kennen Zweibeiner schon seit Jahrhunderten. Nur gab es weder organisierte Vereine noch standardisierte Regeln. Der Legende nach waren es Sheffielder Cricket-Begeisterte, die nach einem Sport suchten, um sich im Winter fit halten zu können. 1857 kam es schließlich zur Gründung des Fußballvereins – und zur Festlegung von Regeln, die ein gesittetes Spiel ermöglichten.
Damit sieht sich der FC Sheffield rückblickend auch als Pionier in Sachen Regelwerk. Die Latte zwischen den Pfosten, der Eckball, Freistöße bei Fouls oder die Vorgaben für einen korrekten Einwurf – all dies seien Erfindungen aus Sheffield, so Tims. Als der Klub 1863 zu den Mitgründern der englischen Football Association (FA) gehörte, seien die Regeln maßgeblich beim Aufbau eines einheitlichen Regelwerks berücksichtigt worden, heißt es heute beim FC Sheffield. Eine Einschätzung, die man andernorts nicht uneingeschränkt teilt. Auf der FA-Website etwa findet man einen Vermerk, nach dem es vor allem die Regeln einer Universitätsmannschaft aus Cambridge gewesen seien, die bereits 1848 das Fundament für das künftige Regelwerk bildeten. In Cambridge hat man den Fall salomonisch gelöst und sagt: „In den Annalen ist Platz für zwei: für Cambridge als Erfinder der Regeln, und für Sheffield als ersten echten Verein.“
„Goodbye Hallam, hello Stocksbridge“
Aber was macht ein erster Verein eigentlich, solange es keinen zweiten gibt? Könnte nur ein einziger Mensch sprechen – er müsste sich auf Selbstgespräche beschränken. Und so tat es auch der FC Sheffield. Man bildete in den eigenen Reihen verschiedene Gruppen und ließ sie gegeneinander antreten. Verheiratete Männer gegen Unverheiratete, Berufstätige gegen den Rest und so weiter. Drei Jahre mussten sie warten, bis sie sich mit einem weiteren lokalen Verein messen konnten, dem FC Hallam. Noch heute sorgen die Derbys gegen diesen Ur-Rivalen für Rekordbesuche auf beiden Seiten. Bis zum Frühjahr spielten beide Klubs sogar in derselben Liga. Nach dem Aufstieg des FC Sheffield ist es damit erst mal vorbei. „Goodbye Hallam, hello Stocksbridge“, hieß es prompt auf der Website des Fanklubs „Behind the Flag“.
1862 soll es dann schon 15 Vereine in Sheffield gegeben haben. 1867 kam Sheffield Wednesday hinzu, 1889 United. In der Folge wurde Fußball ein Profisport, und der älteste Verein verlor den Anschluss an die lokalen Rivalen. „Der FC Sheffield war damals ein Klub für Gentlemen“, erklärt Alan Methley, seit 1964 im Verein und heute Ehrenpräsident. „Das waren Leute, die alle einen guten Beruf hatten und nur zum Spaß Fußball spielten.“ Und weil das so blieb, fanden sie nie mehr heraus aus den Niederungen des englischen Ligasystems. Immerhin: 1904 gewann der Pionier-Klub die FA-Amateurmeisterschaft – bis heute der größte Erfolg der Vereinsgeschichte.
Beim FC Sheffield weiß man, dass die totale Identifikation mit einem Achtligisten schwer fällt. Doch ist man nicht unter den weltweit mehr als 300?000 Vereinen derjenige, mit dem alles begann? „Dieser Klub könnte für viele so etwas wie ein guter Zweitverein sein“, glaubt Steve Hutton, der selbst zwar erklärter Wednesday-Supporter ist, aber daneben auch Mitglied und Fan des FC Sheffield. Die Mitgliedschaft kostet 25 Pfund im Jahr, sichert vier Freikarten pro Saison und die namentliche Erwähnung auf einer Stellwand im Stadion. „Rund 800 Mitglieder haben wir schon“, freut sich Richard Tims. Und die kommen aus aller Welt, von Australien bis Kanada.
Um zum Stadion des FC Sheffield zu gelangen, muss man die Stahlstadt zunächst Richtung Süden verlassen. Etwas abseits der Straße nach Chesterfield, in der kleinen Kommune Dronfield, erreicht man schließlich das „Bright Finance Stadium“. Der Name des Kreditunternehmens deutet schon an, dass der älteste Verein inzwischen eine gute Adresse für Sponsoren geworden ist. „Vor einigen Jahren hatten wir praktisch keine Geldgeber. Das ist heute ganz anders“, freut sich Tims. Mit Hilfe der Sponsorengelder kommt der Verein inzwischen sogar richtig rum. Im Mai kickte er auf einem Turnier in Hongkong, für Ende Juni erreichte ihn eine Einladung aus Südafrika.
Ein Pint im „Coach & Horses“
Durchschnittlich 300 Fans kamen zuletzt zu den Heimspielen. Die meisten sind ganz normale Leute aus der Gegend, die samstags ein Fußballspiel gucken und anschließend vielleicht noch mit den Spielern ein Pint im „Coach & Horses“ trinken wollen. Aber derzeit steigt der Anteil jener Fans, die auch aus Interesse an der historischen Dimension des FC Sheffield in Dronfield auftauchen. Zunehmend werden dabei auch ausländische Besucher begrüßt, Ende März etwa Craig Garchinsky aus New York. Der Amerikaner war im Internet auf den ältesten Verein gestoßen – und sofort Mitglied geworden. Zu seinem 41. Geburtstag reiste er dann nach Europa, um zu schauen, was das eigentlich für ein Klub ist.
Immer im Stadion ist David Dean. „1996 hatten die außer ein paar Familienmitgliedern praktisch kein Publikum“, erinnert sich Dean, der dem englischen Profifußball den Rücken gekehrt und vor gut zehn Jahren beim FC Sheffield eine neue Heimat als Fan gefunden hat. Dass der Verein inzwischen mehr Zulauf hat, dürfte auch daran liegen, dass Dean nicht nur den Fanklub „Behind the Flag“ gründete, sondern auch gleich eine Website einrichtete (www.behindtheflag.co.uk) – noch bevor der Verein selbst eine Homepage besaß. Aus deutscher Sicht dürfte es übrigens besonders den Anhängern des 1. FC Nürnberg leicht fallen, sich auf den FC Sheffield einzulassen. Der schwarz-rote Schal geht wegen der identischen Vereinsfarben problemlos durch, und auch der FC Sheffield firmiert unter Eingeweihten einfach nur als „The Club“.
Aber wie läuft es weiter? Das Ausspielen der historischen Karte wird dem Verein zumindest in diesem Jahr eine Menge Aufmerksamkeit garantieren – und vielleicht auch weitere Sponsoren anlocken. Doch Bekanntheit allein garantiert keine sportlichen Erfolge. Wollen sie eines Tages vielleicht die lokale Marktführerschaft der Zweitligisten Wednesday und United angreifen? Nein, soweit gingen die Visionen nicht, versichert Tims. Sein Hauptziel sei es derzeit, den Klub im Bewusstsein der Fußballfans weltweit zu verankern. Was er sich sportlich maximal vorstellen könne, sei die höchste Liga im Amateurbereich. Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Aber man soll natürlich niemals nie sagen.“
Auf der nächsten Seite findet Ihr das älteste erhaltene Regelwerk der Fußballgeschichte – die Cambridge-Rules von 1856.
The Laws of the University Foot Ball Club
1. This club shall be called the University Foot Ball Club.
2. At the commencement of the play, the ball shall be kicked off from the middle of the ground: after every goal there shall be a kick-off in the same way.
3. After a goal, the losing side shall kick off; the sides changing goals, unless a previous arrangement be made to the contrary.
4. The ball is out when it has passed the line of the flag-posts on either side of the ground, in which case it shall be thrown in straight.
5. The ball is behind when it has passed the goal on either side of it.
6. When the ball is behind it shall be brought forward at the place where it left the ground, not more than ten paces, and kicked off.
7. Goal is when the ball is kicked through the flag-posts and under the string.
8. When a player catches the ball directly from the foot, he may kick it as he can without running with it. In no other case may the ball be touched with the hands, except to stop it.
9. If the ball has passed a player, and has come from the direction of his own goal, he may not touch it till the other side have kicked it, unless there are more than three of the other side before him. No player is allowed to loiter between the ball and the adversaries‘ goal.
10. In no case is holding a player, pushing with the hands, or tripping up allowed. Any player may prevent another from getting to the ball by any means consistent with the above rules.
11. Every match shall be decided by a majority of goals.
(Signed)
H. Snow, J.C. Harkness; Eton.
J. Hales, E. Smith; Rugby.
G Perry, F.G. Sykes; University.
W.H. Stone, W.J. Hope-Edwardes; Harrow.
E.L. Horner, H.M. Luckock; Shrewsbury.