Der Fußball liebt die Extreme. Er liebt kategorisches Denken. Sieger und Verlierer, schlecht und besser, Gut und Böse. Am liebsten sieht er es, wenn Kleine zu Großen werden, gegen alle Widerstände zum Helden und den Berg erst erklimmen, nachdem sie tiefe Täler durchschritten haben. Der Fußball braucht diesen American Dream. Die tschechische Episode vom Namensstreit zwischen dem FK Bohemians Prag und den Bohemians 1905 Prag ist deshalb eine Sternstunde. Sie steht – neben hässlichen Gerichtsgängen natürlich und unsportlicher Wettbewerbsverzerrung – für die Reanimation eines Klubs, den jeder schon für tot hielt oder mindestens komatös. Sie unterscheidet zwischen Tradition und Retorte. Sie erzählt von Bohemians 1905 Prag, den Guten, und FK Bohemians Prag, dem bösen Klon.
Die Bösen wurden dabei überhaupt erst böse, weil es den Guten nicht mehr gut ging. 2005 standen die heutigen Bohemians 1905 vor dem Ruin. Jahrelang hatte man über die eigenen Verhältnisse gewirtschaftet, sich an dubiose Investoren verkauft und bekam nun die Quittung. Der drittklassige FC Střížkov Praha 9 witterte seine Chance auf eine bessere Zukunft und griff zu, als die Bestandteil des Meisters von 1983 veräußert wurden. Es war der verzweifelte Versuch, Tradition einzukaufen. Bohemians Prag stand für eine legendäre Australien-Tour in den 1920ern, die auch das Känguru ins Wappen gebracht hatte, stand für rauschende Europapokalnächte, einen Meistertitel und für Antonín Panenka. Der FC Střížkov Praha 9 stand indes für gar nichts. Von diesem Nullimage wollte der Verein sich lösen. Er wollte los von seinem Namen, der klein klang und verquer, weg von der Nummer am Namensende, die es brauchte, um ihn überhaupt in der Peripherie der Hauptstadt verorten zu können. Er wollte sich das Känguru kaufen und Kult, Fans und Geschichte einfach mit. Die Rechnung ging nicht auf. Karel Kapr, Klubchef vom FC Střížkov, hatte das unbändige Engagement der Bohemians-Fans nicht bedacht – vielleicht auch, weil so viel Fußballliebe und Leidenschaft in der Tristesse der Prager Vororte schlicht undenkbar anmuteten.
Rettung mit Liebe, Leidenschaft und Spenden
Die „Vereinigung der Bohemians-Fans“ schaffte mit einem Insolvenzverwalter die Rettung der verschuldeten Grün-Weißen. Drei Millionen Kronen sammelten die Anhänger und einmal mehr machte sich die internationale Solidarität mit Bohemka bezahlt. Spenden gingen ein aus Australien, England und Deutschland. Gläubiger verzichteten im Gros auf ihre Forderungen und final sicherte die Aktiengesellschaft AFK Vršovice wenigstens einen Neuanfang in der 3. Liga – sehr zum Unwollen von Karel Kapr. Mehrfach beklagte er den geretteten Dino und verweigerte ihm die Anerkennung.
Als sich beide Vereine im April 2010 im direkten Erstligaduell gegenüber standen, eskalierte der Zwist. Die Mannschaft aus Střížkov reiste zum Ďolíček-Stadion, in die Mulde, die sich zwischen Stadtberg, Straßenschluchten und Bahnschienen presst. Die Spieler liefen sich warm, nur um dann auf Weisung ihres mächtigen Klubbosses nicht anzutreten. Angeblich soll es Übergriffe auf die Gästefans gegeben haben, konkret und vor allem belegt wurde der Vorwurf nie. Es muss davon ausgegangen werden, dass Karel Kapr seinen verbalen Anfeindungen nun auch symbolträchtige Taten folgen lassen wollte. Die Tragweite seines Befehls dürfte ihm indes nicht bewusst gewesen sein. Die Disziplinarkommission des tschechischen Verbandes verdonnerte den widerspenstigen Verein zu einer Rekordgeldbuße von umgerechnet 239.000 Euro und zog ihm zwanzig Punkte ab. Es war ein Exempel, das statuiert wurde und den Abstieg aus der 1. Liga bedeutete.
Ein Präsident als Held, die Zukunft rosig
Heute spielt FK Bohemians Prag, die Kopie, zweitklassig. In der abgelaufenen Spielzeit schaffte man den Aufstieg aus der CFL-Liga ins Unterhaus. Ein kleiner Schritt zurück ins Rampenlicht, der in Vršovice allenfalls am Rande wahrgenommen wird. Zu rosig sieht die eigene Zukunft aus. Bohemians 1905 Prag, das Original, wurde in der abgelaufenen Saison starker Sechster der Gambrinus-Liga. Der Verein war früh aller Abstiegssorgen entledigt und klopfte zwischenzeitlich sogar an die Tür zum internationalen Geschäft. Unter Präsident Antonín Panenka hat sich der Verein endgültig konsolidiert. Der Held von Belgrad, bekannt durch seinen geschaufelten Elfmeter im EM-Finale 1976, stiftet als Spielerlegende und Ex-Trainer Identifikation und ist gleichsam Symbol der Rettung. Auch er verzichtete auf die ihm zustehende Summe von 500.000 Kronen und sagte damals: „Ich bin zwar seit sieben Monaten ohne Job, aber es gibt keine andere Möglichkeit – Bohemians ist mein Leben.“ Er sprach aus, was viele dachten. Bohemians war die einzige Möglichkeit. Heute ist Panenka nicht mehr joblos und Bohemians, sein Leben, steht in voller Blüte. Mit viel Pathos könnte man sagen: Die tiefsten Täler sind durchschritten. Das Gute hat gesiegt.