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Filippo Inz­aghi sieht noch immer aus wie der unschein­bare Junge aus Pia­cenza. Wenn er scheinbar des­in­ter­es­siert über den Platz schlurft, behalten seine feinen Gesichts­züge sein wahres Alter für sich und er wirkt nicht viel älter als bei seinem Serie-A-Debüt für die AC Parma vor mehr als vier­zehn Jahren. Nach wie vor erscheint das rot­schwarz gestreifte Milan­trikot eine Nummer zu groß, Inz­aghi eigent­lich zu schmächtig für die Härte des Straf­raums. 

Inz­aghi spielt seit acht Jahren für den AC Mai­land und hat fast alles gewonnen, was es im Fuß­ball zu gewinnen gibt, ist Cham­pions-League-Sieger und 2006 sogar Welt­meister geworden. Und wenn man ihn sich heute durch die geg­ne­ri­schen Abwehr­reihen winden sieht, wird man das Gefühl nicht los, dass er schon immer dabei war. Jeden­falls schon länger als die meisten Erin­ne­rungen im kurz­le­bigen Fuß­ball­ge­schäft zurück rei­chen.

War schon immer da, altert nicht – ein Fuß­ball-Pan

Inz­aghi war schon da, als Rava­nelli und Vialli noch in Turin gespielt haben. Er war auch schon da, als sein heu­tiger Trainer Leo­nardo im San Siro debü­tierte. Und heute ist Inz­aghi immer noch da.

Mitt­ler­weile ist der kleine Junge aus Pia­cenza 36 Jahre alt, er tollt durch den Spät­herbst seiner Kar­riere und scheint doch nichts von seiner schnei­denden Gefähr­lich­keit ver­loren zu haben. Und fast scheint es, als würde dieser Inz­aghi ein­fach nicht altern, ein Fuß­ball-Pan, der die Bühne nicht ver­lassen will, weil er ein­fach zu gerne spielt. 

Dabei sah es vor dieser Saison ganz so aus, als wäre auch der kleine Ita­liener von den Gesetz­mä­ßig­keiten des Geschäfts ein­ge­holt worden. In Mila­nello, dem Land der alten Männer, schien er plötz­lich ein Greis zu viel zu sein. 

Der neue Trainer Leo­nardo setzte im Sturm­zen­trum auf seinen jungen Lands­mann Pato und den Hol­länder Klaas-jan Hun­telaar, dahinter sollte Ronald­inho per Dekret des all­mäch­tigen Patron Silvio Ber­lus­coni seine Wie­der­auf­er­ste­hung feiern. Für Inz­aghi schien da kein Platz mehr. Gerade in der Cham­pions League sollte Inz­aghi in einer Art Alters­teil­zeit nur mehr ein Backup sein, ein beglei­tender Berater. Dabei ist gerade die Liga der Meister seine Bühne. Wie kaum ein anderer ist Inz­aghi ein Mann für die glän­zenden Euro­pa­po­kal­a­bende, für die ganz großen Nächte. 

Denn der Euro­pa­pokal scheint fast so etwas wie sein per­sön­li­ches Bäl­leland zu sein, hier kann er sich aus­toben. Nie­mand war inter­na­tional je gefähr­li­cher. Van Basten nicht, Raul nicht und nicht mal die Erfin­dung des Tor­jä­gers Gerd Müller, den Inz­aghi schon vor fast zwei Jahren, am 4. Dezember 2007, mit einem Tor gegen Celtic Glasgow, seinem 63. auf kon­ti­nen­talem Par­kett, als erfolg­reichsten Tor­schützen in der Geschichte des Euro­pa­po­kals abge­löst hatte. 

Der Junge aus Pia­cenza hat längst den Bomber“ abge­hängt

Eine Cham­pions League Saison ohne Inz­aghi schien des­halb auch so abwegig wie ein DSF-Dop­pel­pass ohne Udo Lattek. Inz­aghi gehörte schließ­lich dazu wie die chorale Hymne und die Play­sta­tion-Ban­den­wer­bung. Und trotzdem sah alles danach aus, als dürfe er dieses Mal nur zuschauen. 

Doch Ronald­inho ver­ab­schie­dete sich erneut in seine kaum nach­voll­zieh­bare Zwi­schen­welt aus Depres­sion und Baby­speck und auch Klaas-Jan Hun­telaar, der erst kurz vor Trans­fer­schluss aus Madrid gekommen war, schien zu Beginn der Saison noch nicht voll­ends in Mai­land ange­kommen zu sein. Und so stand Inz­aghi im ersten Grup­pen­spiel in Mar­seille doch wieder in Milans Anfangself und ent­schied das Spiel im Allein­gang. Es war ein typi­scher Euro­pa­pokal-Abend für Inz­aghi. Lange war er nicht zu sehen, doch am Ende traf er aus der ihm eigenen Unsicht­bar­keit dop­pelt.

Kaum tot­ge­sagt, hatte sich Inz­aghi mit jener Gal­lig­keit zurück gemeldet, die ihn auch schon früher durch die schlech­testen Spiele getragen hatte und wirkte dabei wieder einmal völlig alterslos. 

Natür­lich ist auch Inz­aghi lang­samer geworden. Doch seine 36 Jahre merkt man ihm nur selten an. Das Geheimnis dieser dau­er­haften Pubertät auf dem Platz liegt dabei vor allem in Inz­aghis Spiel, das, positiv aus­ge­drückt, nie von über­durch­schnitt­li­chem Lauf­auf­wand geprägt war. 

Inz­aghi hat in seiner gesamten Kar­riere die meiste Zeit pro­vo­kant an der Straf­raum­grenze gegam­melt und war dabei oft öko­no­misch bis zur kurz­zei­tigen Bewe­gungs­lo­sig­keit. Sein Spiel war nie kraft­rau­bend. Wäh­rend andere Spieler in 90 Minuten ordi­näre Kilo­meter fressen mussten, hat er sich immer die Rolle des Gour­mets behalten, dem oft nur wenige Bewe­gungen, wenige Meter Antritt reichten, um für ein Des­sert zu sorgen. Süß für die eigene Mann­schaft, bitter und unge­nießbar für den Gegner. 

Gam­melnder Gourmet an der Straf­raum­grenze

Im Spiel schlen­dert er noch immer merk­würdig teil­nahmslos über den Platz. Doch das schein­bare Des­in­ter­esse, mit dem er die Abwehr­spieler nun seit fast zwanzig Jahren irri­tiert und geistig träge macht, bis sie sich in einer trü­ge­ri­schen Sicher­heit wähnen, ist nichts anderes, als eine gefähr­liche Appe­tenz. In diesen Momenten hat sein Spiel viel gemein mit dem Jagd­ver­halten großer Raub­katzen. Auch Inz­aghi beschleu­nigt aus einer offen­sicht­li­chen Träg­heit heraus oft in Sekunden auf Jagd­ge­schwin­dig­keit und scheint Schwäche und Angst seiner Gegner rie­chen zu können. 

Scheinbar nebenbei hat Inz­aghi zudem das Her­um­lun­gern im Abseits, in der Grau­zone der Lega­lität, per­fek­tio­niert. Es ist ein Tanz auf der Rasier­klinge. Und Inz­aghi ist darin der Fred Astaire unter Europas Stür­mern.

Als per­fekte Blau­pause für seine Art des Fuß­balls dient dabei das Cham­pions League Finale von 2007 zwi­schen dem AC Mai­land und dem FC Liver­pool in Athen.

Auch in diesem Spiel hatte Inz­aghi wieder einmal kaum statt­ge­funden, doch wie so oft trug er seine Tarn­kappe mit einer gewissen Ele­ganz. Es war ein inten­sives Spiel, die Revanche für das ver­lo­rene End­spiel von 2005, als Milan im aus­ver­kauften Ata­türk Sta­dion von Istanbul einen drei Tore Vor­sprung noch aus der Hand gegeben hatte und am Ende nicht Paolo Mal­dini oder Hernan Crespo, son­dern der pol­ni­sche Tor­hüter Jerzy Dudek zum Helden der Nacht werden sollte. 

Milans dama­liger Trainer Carlo Ance­lotti, dessen sonst stoi­sche Mimik auch noch lange nach dem Schluss­pfiff von Fas­sungs­lo­sig­keit ver­zerrt war, sprach hin­terher von den Sechs Min­unten des Wahn­sinns“, die seine Mann­schaft in ein kol­lek­tives Trauma gestürzt hatten. Für Milan war das ver­lo­rene Finale mehr als eine Nie­der­lage, es war ein Schand­fleck in der Chronik dieses, nach eigenem Selbst­ver­ständis, strah­lendsten Klubs der Welt. Inz­aghi fehlte den Ita­lie­nern damals in Istanbul. Und auch das könnte eine Erklä­rung sein, warum die Mai­länder dieses Spiel noch aus der Hand geben konnte. Ihnen hatte das Böse gefehlt. 

Milan fehlte das Böse im Finale

Zwei Jahre später aber stand Inz­aghi in Athen in der Anfangself als ein­ziger Stoß­stürmer im Mai­länder Tan­nen­baum und wenn man so will war es die Rück­kehr des Bösen. 

Die zum Kampf der Sys­teme hoch­sti­li­sierte Revanche wurde über weite Stre­cken von den Eng­län­dern domi­niert, die von ihrem Trainer Rafa Benitez optimal auf Milans Christ­baum­fuß­ball ein­ge­stellt worden waren. Doch wieder einmal reichten Inz­aghi zwei Szenen, um dieses Finale zu ent­scheiden. Erst lief er, viel­leicht zufällig, viel­leicht aber auch ganz bewusst, so genau kann man das bei Inz­aghi nie wissen, in einen Frei­stoß von Andrea Pirlo und fälschte den Ball unhaltbar für Liver­pools Tor­hüter Reina ab. Und als der FC Liver­pool dann in der Schluss­phase des Spiels auf den Aus­gleich drängte, stach er wieder zu. Nach einem Sezier­mes­ser­pass von Kaka star­tete er aus – natür­lich – abseits­ver­däch­tiger Posi­tion, ließ Reina mit einer unauf­ge­regten Kör­per­täu­schung aus­steigen und schob den Ball ins Tor. Inz­aghi drehte ab, die Arme weit aus­ge­breitet. Die Mila­nesen hatten Rache genommen, und Inz­aghi wirkte wie ihr Rache­engel. 

In seinem jubelnden Gesicht spie­gelte sich Gehäs­sig­keit und er muss den Liver­poo­lern in diesen Sekunden wirk­lich wie das pure Böse vor­ge­kommen sein. Der ganze Treffer war auf­rei­zend lässig. Ein typi­scher Inz­aghi. Und selbst die zeit­liche Abfolge seiner Tore schien sich Inz­aghi genüss­lich zurecht gelegt zu haben. Er traf Sekunden vor dem Halb­zeit­pfiff und noch einmal kurz vor dem Ende des Spiels, jeweils zu einem für den Gegner psy­cho­lo­gisch ungüns­tigsten Zeit­punkt. Wie es eben so seine Art ist. Denn Inz­aghis Tore tun in der Regel richtig weh.