Viele Millionen hat Felix Magath in den zurückliegenden Monaten in die Weiterentwicklung des VfL Wolfsburg investiert, er hat italienische Catenaccio-Weltmeister verpflichtet, deutsche Mittelfeldtalente, einen bosnischen Spielmacher und einen Schweizer mit tausend Armen.
Doch Magaths ehrgeiziges Provinzprojekt wurde eigentlich erst durch einen Zufallstransfer so richtig veredelt: Denn der Brasilianer Grafite stand nie auf dem langen Einkaufszettel des Wolfsburger Trainers, er wurde eher nebenbei entdeckt. Angeblich, so munkeln die Kiebitze in der Autostadt, hat Magath einfach seinen Mittelfeldspieler Josue gefragt, ob er nicht einen guten Stürmer kenne. Josue erinnerte sich an seinen alten Weggefährten Grafite, und Magath überwies sieben Millionen Euro nach Le Mans, wo der Stürmer zuvor nicht sonderlich aufgefallen war. Anfangs wurde er in Wolfsburg noch mit niedersächsischer Skepsis empfangen. Sieben Millionen schienen viel Geld für einen verhältnismäßig Namenlosen, der obendrein gerade erst von einem Kreuzbandriss genesen war. Heute gilt er längst als Schnäppchen. Und als einer der glücklichsten Glücksgriffe des nicht immer glücklichen Felix.
Ohne Grafite ist alles nichts
Grafite ist Magaths genialischster Transfer und sein persönlichster. Er hat Magaths Transferhändchen mit Goldstaub überzogen, weil er schnell mehr war als nur ein einfacher Torjäger war. Seine Interpretation des Mittelstürmers, seine Art, sich brachial durch die gegnerischen Abwehrreihen zu pflügen, verleiht dem Spiel der Wolfsburger den Hauch Klasse, den es dringend benötigt, um sich schließlich nach Magaths Vorstellungen zu entfalten. Fällt der Brasilianer einmal über einen längeren Zeitraum gesperrt oder verletzt aus, wie etwa nach seiner Einzelkampf-Einlage mit dem Hamburger Mathijsen, wirkt es, als hätte der Rest der Mannschaft den Weg zum Tor aus den Augen verloren. Wolfsburgs Offensive erstarrt in zielloser Schönheit, und besonders Misimovics Ideenreichtum verpufft ungenutzt. Denn Grafite fungiert durch seine finale Abschlussstärke an der Spitze der Wolfsburger Tempoangriffe wie ein Leuchtturm, ist so etwas wie Wolfsburgs eiskalter Schlussläufer, an dem sich der Rest der Offensivspieler orientieren kann. Auch in dem Wissen, dass der Brasilianer schon irgendwas machen wird aus den Bällen, die in den Strafraum segeln.
Grafite, der in Brasilien jahrelang Futsal gespielt hat, besitzt die seit Gerd Müller selten gewordene Gabe, aus nahezu jeder Lage und mit nahezu jedem Körperteil ein Tor erzielen zu können. Dabei ist er kein typisch filigraner Sambatänzer wie es etwa Bayerns Elber war. Grafite ist hart zu sich selbst und zu seinen Gegenspielern. Auf dem Trainingsplatz aber mehr noch auf den Spielfeldern der Liga. Die »Berliner Zeitung« nennt ihn einen »Drehtürstürmer«, der allein durch seine pure Physis für Verwirbelungen im Strafraum und Schwindelanfälle bei seinen Gegenspielern sorgt. Seine Körpersprache ist dabei auch eine Reminiszenz an Walter Sobchak aus »The Big Lebowski«. Grafites kantige 1,90 Meter signalisieren jedem Verteidiger: »Smokey, you are about to enter a world of pain!« Am Wochenende musste Cottbus‘ Kukielka dann auch erfahren, wie schmerzhaft es wirklich ist, wenn Grafite ins Rollen gerät. Und momentan ist der 29-Jährige nichts anderes als ein rollender Stein, dessen Drehmoment mit jedem neuen Spiel an Kraft zu gewinnen scheint. In den vergangenen sieben Heimspielen hat der Brasilianer immer getroffen und am Samstag eine mittelmäßige Partie seiner Mannschaft gegen verzweifelt kämpfende Cottbuser ganz allein entschieden.
Mit dem ersten Dreierpack seiner Bundesligakarriere, durch den er er sein Torekonto in dieser Saison auf acht schrauben konnte. Felix Magath bedachte Grafite danach mit dem schlichten Prädikat »wertvoll«. Doch passender hätte er es wohl nicht formulieren können.