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Herr Klins­mann, man hört, dass dass Sie bis zu zwölf Stunden täg­lich auf dem Gelände des FC Bayern ver­bringen.

Wenn ich mich für etwas ent­scheide, dann gehe ich in der Umset­zung auf. Auto­ma­tisch. Da schaue ich nicht auf die Uhr.

Sie gehen also auch in der Arbeit als Ver­eins­trainer auf.

In meiner Fin­dungs­phase bei der Natio­nalelf habe ich gespürt: Dieser Beruf macht dir Spaß, er füllt dich aus und for­dert doch. Auch meine Firma in den USA hat mir Freude bereitet, aber seit der Zeit beim DFB weiß ich: Du gehörst wieder auf den Platz.



Kann man mit der­selben Inten­sität, mit der Sie das Pro­jekt WM 2006 gepuscht haben, täg­liche Ver­eins­ar­beit über einen langen Zeit­raum gestalten? Sie hatten in die WM so viel Energie inves­tiert, dass Sie danach inner­lich leer waren und eine Aus­zeit brauchten.

Ich werde manchmal zum Work­aholic, das stimmt, aber ich habe gelernt, mich relativ gut ein­zu­teilen. Bei der WM mussten wir alles für ein Mega-Event bis zu einer Dead­line hin­bringen, auf den Punkt genau. Danach fiel kör­per­lich und emo­tional viel ab von mir, und ich hatte die Ver­pflich­tung, meine Familie wieder in Balance zu bringen. Hätte ich nach der WM drei Monate freikriegen können, hätte ich viel­leicht nicht auf­ge­hört.

Was heißt: Sie haben gelernt, sich ein­zu­teilen?

Ich bin jetzt noch einen Schritt weiter beim Thema Ver­ant­wor­tungs­über­gabe.

»Empower­ment«, wie es in der Klins­mann-Sprache heißt …

… ja, die Auf­ga­ben­ver­tei­lung im Trai­ner­stab ist beim FC Bayern noch besser als beim DFB. Alle vier Fit­ness­coa­ches arbeiten selbst­ver­ant­wort­lich, meine zwei Assis­tenten bereiten die Trai­nings­ein­heiten vor. So kann ich meinen Schwer­punkt auf die Umset­zung der Trai­nings­ar­beit legen – und auf die Per­sön­lich­keits­ent­wick­lung der Spieler.

Durch den WM-Film Som­mer­mär­chen ent­stand der Ein­druck, der Trainer Klins­mann sei gar kein Trainer gewesen, son­dern nur der Heiß­ma­cher in der Kabine, wäh­rend die tak­ti­sche Arbeit in den Händen von Joa­chim Löw lag.

Ich wusste, dass es in diese Rich­tung läuft. Sönke Wort­mann (Regis­seur, Anm. d. Red.) kam damals zu mir nach Kali­for­nien und zeigte mir den Film in der Roh­fas­sung. Ich habe gesagt: Der Film gibt eigent­lich über­haupt nicht wider, was ich beim DFB zwei Jahre lang gear­beitet habe. Aber ich habe Sönke ver­standen, er muss seinen Film auf die Emo­tionen der Zuschauer im Kino aus­legen. Ich sagte: Sönke, mach, wie du es für richtig hältst, ich habe kein Pro­blem damit.

Und wie sah die Wahr­heit hinter dem Film­sze­nario aus?

Sämt­liche Trai­nings­ein­heiten waren zwi­schen mir und Jogi (Löw, d.Red.) voll abge­stimmt. Die Umset­zung auf dem Platz habe ich Jogi über­geben, damit er in diese Auf­gabe wächst. Die Pla­nung, die Stra­tegie war aber immer unser gemein­sames Ding, und alle Ent­schei­dungen im sport­li­chen Bereich, Aus­wechs­lungen und so weiter, kamen durch meine Sicht­weise der Dinge zustande – die wir dann gemeinsam bespro­chen haben.

Anfangs war das aber nicht so: Sie sagten, Joa­chim Löw könne ein Spiel viel besser lesen und ana­ly­sieren.

Ja, aber ich habe Monat für Monat dazu­ge­lernt. Nach dem Con­fe­de­ra­tions Cup 2005 hatte ich das Gefühl: Ich könnte das auch. Aber warum hätte ich das gut Ein­ge­spielte auf den Kopf stellen sollen? Sollte ich Jogi eine Auf­gabe weg­nehmen, in der er voll auf­geht? Wir haben uns beide gegen­seitig viel gegeben – und es hat riesig Spaß gemacht.


Auf der nächsten Seite: Warum Jürgen Klins­mann das Argu­ment der finan­zi­ellen Dis­kre­panz zu den Großen nicht akzep­tiert.

Beim FC Bayern sollen Sie nun einen Klub aus der zweiten finan­zi­ellen Liga Europas an die Spitze der Cham­pions League führen – auf Augen­höhe zu Ver­einen, die für Spieler wie Kaka oder Ronaldo 100 Mil­lionen bezahlen können.

Ich akzep­tiere das Argu­ment der finan­zi­ellen Dis­kre­panz zu den Großen nicht. Der FC Bayern muss finan­ziell nie­mals in diese Regionen gehen. Sicher­lich sind solche Aus­nah­me­spieler etwas Beson­deres. Aber die Top-15-Ver­eine in Europa sind alle mit lauter Natio­nal­spie­lern bestückt. Und letzt­lich ist die Atmo­sphäre, ist die Arbeits­phi­lo­so­phie, die ein Verein ent­wi­ckelt, wich­tiger als ein Hun­dert-Mil­lionen-Transfer. Inter Mai­land hat in den letzten zehn Jahren immer fünfzig bis hun­dert Mil­lionen in neue Spieler inves­tiert – trotzdem hat die Chemie nie richtig gepasst.

Heißt das: Ent­schei­dend sind nicht teure Spieler, ent­schei­dend ist viel­mehr ein Trainer mit Kon­zepten?

Ent­schei­dend ist, ob die Mann­schaft eine Phi­lo­so­phie mit­trägt, ob sie sich selbst defi­nieren kann und imstande ist, Pro­bleme zu lösen. An dieser Stelle redu­ziert sich die Rolle des Trai­ners. Ent­schei­dungen im Fuß­ball werden am Platz getroffen. Wenn ich als Trainer ver­suche, das Gehirn des Spie­lers genau zu pro­gram­mieren – spiele so, so, so, so – dann wird er nie sein Top-Leis­tungs­ni­veau errei­chen. Der Trainer kann immer nur ein Helfer sein, damit der Spieler sich selbst inspi­riert und den Blick öffnet: und zwar keinen 90-Grad‑, son­dern einen 180- Grad-Blick. Ich kann dem Spieler helfen in Bezug auf Fit­ness, auf Selbst­ver­trauen und Moti­va­tion. Für seine Ent­schei­dungen im Spiel aber muss der Spieler selbst eine Balance ent­wi­ckeln.

Am Ende ent­scheiden im modernen Spit­zen­fuß­ball oft Details.

Genau des­halb sehe ich Bayern kei­nes­wegs in einer zweiten Kate­gorie. Es können noch so viele Mil­li­ar­däre kommen, ob aus Russ­land oder Ame­rika – egal! Wenn ich mit einem Top­kader arbeiten kann – und das können wir beim FC Bayern auch ohne 50-Mil­lionen-Ein­käufe – dann gibt es genug Chancen, diesen Kader kon­ti­nu­ier­lich zu ent­wi­ckeln. Wir haben den Spie­lern hier ein Leis­tungs­zen­trum hin­stellen können, wo sie sehr viel Input kriegen – im Gegenzug kann man von ihnen etwas zurück­er­warten. Wir können hier genau ermit­teln, wo es bei einem Spieler hapert, wo wir ansetzen müssen: Im leis­tungs­ana­ly­ti­schen Bereich? Im mensch­li­chen? Im Per­sön­lich­keits­profil?

Als sie Natio­nal­trainer wurden, sagten Sie: Ich muss zum Bei­spie den kopf­ball­schwa­chen Lukas Podolski dazu bringen, dass er zwei Zen­ti­meter höher springt, denn viel­leicht macht Podolski am Ende im WM-Finale das ent­schei­dende Tor, weil er diese zwei Zen­ti­meter höher springt als sein Gegen­spieler.

Mein Job ist es, meine Leute so zu ver­bes­sern, dass wir auch mit finanz­starken Klubs wie Chelsea oder Milan kon­kur­rieren können. Im WM-Halb­fi­nale gegen Ita­lien hatten wir in der 89. Minute einen Frei­stoß in der Nähe des Sech­zeh­ners. Hätte da einer gesagt: Den lupfe ich über die Mauer – bumm, wären wir im End­spiel gewesen. In sol­chen Momenten spielen Bud­gets keine Rolle, sonst hätte Chelsea seit Jahren alle Titel abge­räumt.


Auf der nächsten Seite: Jeden Spieler jeden Tag besser machen – warum Fuß­ball-Trainer für die Per­sön­lich­keits­ent­wick­lung der Spieler mehr Zeit inves­tieren müssen.

Große Stars ver­langen außerdem gerne große Pri­vi­le­gien.

Die Inte­gra­tion eines Mega­deals wie Kaka kann sehr viel Energie aus einer Gemein­schaft ziehen. Der Fan freut sich, klar – aber ich als Trainer habe immer nur einen Kuchen an Energie zur Ver­fü­gung. Wenn ein Aus­nah­me­spieler 30 Pro­zent dieses Kuchens will, weil er 30 Pro­zent Auf­merk­sam­keit kriegen möchte, dann bleiben dem Rest nur 70.

Zu wenig.

Ich frage: Ist ein Spieler unterm Strich ein Geber – oder ein Nehmer? Habe ich zu viele Nehmer, auch wenn sie die besten Fuß­baller der Welt sind, dann habe ich ein Pro­blem. Gerd Müller, Pelé – das waren Geber. Stars müssen Geber sein! Michael Jordan war immer der Erste im Trai­ning. Und der Letzte, der ging.

Müssten Fuß­ball-Trainer für die Per­sön­lich­keits­ent­wick­lung der Spieler mehr Zeit inves­tieren?

Unbe­dingt. Ich defi­niere meine Rolle als Helfer. Nach der WM haben viele Spieler zu mir gesagt: Jürgen, vielen Dank, ich bin wei­ter­ge­kommen.

Ihr Mantra heißt: Jeden Spieler jeden Tag besser machen! Franz Becken­bauer war sofort begeis­tert. Er sagte: Dann lernen Lahm und Schwein­steiger end­lich, mit dem linken Fuß zu flanken.

Den Spie­lern Anstöße zu geben ist ein kon­stanter Pro­zess. Keiner soll abends sagen: Das war heute ein toter Tag. Es geht nicht nur um große Dinge auf dem Platz. Wir werden auch externe Leute hin­zu­holen, die über Spie­ler­be­ra­tung reden, über Finanz­fragen und vieles mehr. Das Resultat vieler kleiner Maß­nahmen wird erfolg­rei­cher Fuß­ball sein. Davon bin ich über­zeugt.

Vor 2004 hatte nie­mand eine Ant­wort auf die Frage: Wofür steht die Natio­nal­mann­schaft? Sie hatten sich zur Auf­gabe gemacht, dieses weiße Feld zu bear­beiten. Wie ist das beim FC Bayern?

Ganz anders. Beim DFB konnte ich nicht Schritt für Schritt vor­gehen, ich musste schnell han­deln, ohne Kom­pro­misse, es ging damals drunter und drüber. Wir hatten zwei Prä­si­denten, um alles wurde gestritten. Beim FC Bayern baue ich auf einer gesunden Basis auf. Ich habe die Unter­stüt­zung aller Chefs, ich habe eine gute Mann­schaft, und die Abläufe stimmen.


Auf der nächsten Seite: Klins­mann und die Mia-san-mia-Men­ta­lität der Bayern.

Beim FC Bayern sagt man seit über 30 Jahren: Mia san mia! Können Sie diese Sie­ger­men­ta­lität über­nehmen?

Jeder Klub, jede Nation braucht eine Iden­tität. Der FC Bayern hat sie schon. Ablei­tend von der Geschichte und von den großen Per­sön­lich­keiten des Klubs kann ich jedem aus­län­di­schen Spieler hier ver­mit­teln: Dafür stehen wir! Wir wollen eine domi­nante, agie­rende Spiel­weise zeigen!

Auf dem Platz wäre das ein Para­dig­men­wechsel. Denn offen­sives Selbst­be­wus­stein hat man – zumin­dest bei Spielen gegen euro­päi­sche Top­klubs – beim FCBayern zuletzt selten gesehen.

Wir wollen uns an Europas Besten messen. Darum müssen wir schneller spielen, mit weniger Ball­kon­takten, sonst sind die Stürmer zuge­deckt, es gibt keine Anspiel­sta­tionen, und der Ball läuft wieder quer. Du darfst den Moment zum Steil­spiel nach vorne nicht ver­passen.

Tem­po­fuß­ball setzt wie­derum unge­heure Ath­letik voraus: Fore­checking und Frei­laufen in hoher Geschwin­dig­keit.

Diese For­de­rung defi­niere nicht ich – die defi­niert ganz klar die Cham­pions League. Sie hat die Vor­rei­ter­rolle, auch für das, was in den Natio­nal­mann­schaften pas­siert. Der Cham­pions-League-Trend zu 4 – 5‑1-Sys­temen wurde bei der EM fast kom­plett über­nommen. Diesen Trend teile ich aller­dings nicht. Ich habe keine Lust, von unseren drei Top­stür­mern Toni, Klose, Podolski zwei auf die Bank zu setzen. Außerdem will ich Torres oder Drogba, den armen Kerl, in drei, vier Jahren sehen, wenn sie sich vorne dau­ernd allein auf­reiben müssen.

Wel­ches Kör­per­teil des Spie­lers ist am wich­tigsten: Beine? Herz? Kopf?

Der Bereich Fit­ness ist noch lange nicht aus­ge­reizt. Ab März fährt man bei uns in Deutsch­land immer das Pro­gramm her­unter, denn man redet sich im Hin­ter­kopf ein: Jetzt werden wir langsam müde. Blöd­sinn! Man kann sein Level halten und am Sai­son­ende die Fit­ness­ar­beit eher sogar noch anziehen. Trotzdem: Am Ende ent­scheidet oft nur der Kopf – und der wird im Fuß­ball nicht trai­niert. Keinem Trainer wird erklärt, wie er im geis­tigen Bereich mit den Spie­lern arbeiten soll. Dafür sind wir nicht geschult. Aber wenn ich als Trainer einen Spieler nicht lesen kann – dann brauche ich einen, der es kann.

Einen Sport­psy­cho­logen?

Ja, der muss sein. In der Trai­ner­aus­bil­dung gibt es vier Säulen: Technik, Taktik, Fit­ness, Men­tales – mental in Anfüh­rungs­zei­chen. Aber es gibt keinen fünften Pfeiler: life skills, Per­sön­lich­keits­ent­wick­lung. Damit habe ich mich seit 2006 beschäf­tigt. Und daran wollen wir hier beim FC Bayern arbeiten. Wie soll ein Spieler in der 89. Minute das Rich­tige tun, wenn ich ihm nicht helfe, für sein Leben ver­ant­wort­lich zu sein? Wenn ich Breno oder Sosa nicht zeige, wie sie hier in unserer Kultur zurecht­kommen? Auch Luca Toni muss Deutsch lernen, denn ohne Kom­mu­ni­ka­tion wird immer ein kleines Puz­zle­stück fehlen. Trotzdem kann es ohne dieses Puz­zle­teil rei­chen für den Erfolg. Mög­li­cher­weise aber reicht es auch nur, um die Bun­des­liga zu gewinnen – und nicht die Cham­pions League, wo wir aber hin­wollen.


Auf der nächsten Seite: Was hat Klins­mann mit Schwein­steiger und Podolski vor? Und wer sind die Zukunfts­hoff­nungen?

Was haben Sie mit Schwein­steiger und Podolski vor, die bei der EM besser zur Gel­tung kamen als zuletzt im Klub?

Klins­mann: Beide haben schon wahn­sinnig viel erlebt, Ach­ter­bahn­fahrten mit Hochs und Tiefs. Unser Job ist es, sie auf ihr nächstes Level zu bringen. Dafür werde ich ihnen nicht jeden Tag auf die Schulter klopfen, ich werde auch mal hart mit ihnen ins Gericht gehen. Aber ich muss wissen, wie ich sie anzu­pa­cken habe. Das Gleiche gilt für Jansen, für Lahm.

Die Zukunfts­hoff­nungen.

Ja, das ist eine Gene­ra­tion in Deutsch­land zwi­schen 21 und 25, die noch einen weiten Weg vor sich hat – aber einen Weg voller Per­spek­tiven. Und die muss ich ihnen zeigen: Lukas, dein Job ist es, die zwei anderen (Klose und Toni, d. Red.) mit voller Power anzu­greifen. Basti: Du hast dir hier schon was auf­ge­baut, aber jetzt heißt es: Ell­bogen raus! Beide müssen stress­re­sis­tenter werden, noch kon­stanter in ihrer Fit­ness, damit die Aus­schläge ihrer Ups and Downs kleiner werden. Aber sie sind ja erst 23, 24.

Mit wel­chem System wollen Sie spielen: Mit zwei Sech­sern, mit einem? Wieder mit einem Zehner hinter den Spitzen, den Ottmar Hitz­feld abschaffte?

Wir müssen mit min­des­tens zwei Sys­temen umzu­gehen lernen. Vom Kader her ist ein 4−4−2 vor­ge­geben, ent­weder mit Raute oder mit fla­cher Mit­tel­feld­reihe. Par­allel dazu müssen wir noch eine Alter­na­tive trai­nieren. Und weil wir mit wenigs­tens zwei Stür­mern spielen wollen, aber keine echten Flü­gel­stürmer haben, kann diese Alter­na­tive wohl nur ein 3−5−2 sein. In der Bun­des­liga werden viele Gegner nur mit einer Spitze kommen, da möchte ich eigent­lich keine vier Abwehr­spieler dagegen stellen. Da will ich sehen , dass auch ein Innen­ver­tei­diger mal mit nach vorne geht.

Das mit den Vor­stößen wird Lúcio gerne hören.

Lucio, Demi­chelis, Sagnol – solche erfah­rene Spieler erwarten auch, dass man mit ihnen tak­ti­sche Themen dis­ku­tiert. Was heißt 3−5−2? Dass der Außen­spieler viel Arbeit hat (lacht)! Oder wer macht was im 4−4−2? Wer über­nimmt wo wel­chen Mann? Bei sol­chen Dis­kus­sionen werde ich immer den Aus­tausch mit den Spie­lern suchen.

Wer wird Kapitän?

Ein Geber. Eine Per­sön­lich­keit mit Stel­len­wert. Ich halte sehr viel von dieser Rolle, für mich wird das ein per­ma­nenter Ansprech­partner sein. Wer es wird? Warten Sie bitte noch ab.

Sie tun viel dafür, dass die Spieler auch Stoff für den Kopf erhalten: Der Klub bietet Sprach­kurse, Lese-Ecken und Yoga. Doch solche Neue­rungen pola­ri­sieren auch. Bei Miss­erfolg könnten Ihnen die an der Säbener Straße auf­ge­stellten Bud­dhas schnell um die Ohren fliegen.

Das ist völlig normal. Nacken­schläge werden sicher kommen, und dann kriegst du bei uns alles um die Ohren gehauen, was du anders machst als in den letzten 20 Jahren. Ohne Bud­dhas würden die Kri­tiker andere Argu­mente finden. Ich habe das zwei Jahre bei der Natio­nal­mann­schaft erlebt: Jede Klei­nig­keit wurde hin­ter­fragt, sogar, dass wir mit Gum­mi­bän­dern trai­niert haben.


Auf der nächsten Seite: Warum Klins­mann Kali­for­nien für die Bayern ver­lassen hat und was aus dem Ritual des Rot­weins mit Uli Hoeneß wird.


2004, als Sie Bun­des­trainer wurden, war Deutsch­land Europas Schluss­licht bei der wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung, es herrschte ein Klima des Jam­merns und Zau­derns. Sie selbst stehen für das Gegen­teil: für den ame­rican way of life, für Zuver­sicht und große Ziele. Wie sehen Sie heute Ihr Land?

Es ist ein Bewusst­sein ent­standen, sich an der Spitze zu ori­en­tieren. Auch im Fuß­ball wollen wir mit den Großen der Welt zurecht­kommen. Es gibt nach wie vor Nach­hol­be­darf in der tak­ti­schen Arbeit, und wir müssen noch nach­hal­tiger unsere Talente för­dern. Ihnen klar­ma­chen, dass der Sport sich immer am nächsten Tag ori­en­tiert und nicht am gest­rigen. Als Hoch­leis­tungs­sportler darf man sich nie­mals aus­ruhen, in posi­tiven wie in nega­tiven Momenten.

Auch nicht nach einem EM-Finale?

Wären wir Euro­pa­meister geworden, wäre es noch schwie­riger geworden, die Spieler ein­zu­fangen, weil ihr Umfeld mitt­ler­weile oft so kom­plex und so irreal ist, dass nur noch die Außen­welt den Spieler beein­flusst. Das Fatale am Fuß­bal­ler­beruf ist: Es gibt keine Aus­bil­dung dafür. Ein Spieler wird mit 18 Profi, aber keiner erklärt ihm : Wie gehe ich mit Medien um, mit Spon­soren? Wie lege ich Geld auf die Seite? Wie beur­teile ich fal­sche Freunde und Schul­ter­klopfer?

Hören junge Spieler denn zu?

Wenn ich Argu­mente und Ant­worten habe, dann ver­stehen sie mich. Du hast heute eine Gene­ra­tion, die will wissen, warum etwas zu tun ist. Denen muss man Trai­nings­ein­heiten genau erklären: Heute brau­chen wir eine Schnell­kraft­ein­heit, weil wir die Dinge nur dann ins Zen­tral­ner­ven­system rein­bringen, wenn wir es alle vier, fünf Tage tun. Die heu­tige Gene­ra­tion hin­ter­fragt alles.

Das Kli­schee heißt jedoch: Null-Bock-Gene­ra­tion.

Das Gegen­teil ist richtig. Die Spieler wollen heut­zu­tage lernen, sie wollen klare Ziele defi­nieren. Dem einen ist geholfen, wenn er eine Sprache lernt, beim anderen kann sein: Er lernt lieber Gitarre. Als Trainer habe ich 20, 24 Spieler, da muss ich viele Wochen inves­tieren, um her­aus­zu­finden: Wie tickt jeder? Aber genau das macht mir Spaß. Und wenn nebenbei Titel her­aus­springen – super.

Wenn die aber aus­bleiben …

… werde ich in Frage gestellt und ver­liere früher oder später meinen Job. Mit diesem Risiko kann ich leben.

1997 sind Sie aus Mün­chen weg­ge­gangen mit dem bit­teren Fazit: Ich passe nicht hierher. Warum passt es jetzt?

Als Familie haben wir uns auch damals sehr wohl­ge­fühlt in Mün­chen. Und heute haben wir eine neue Kon­stel­la­tion mit einem Vor­stand, der mir absolut den Rücken deckt. Ich war damals auch nicht in einer Ent­scheider-Posi­tion. Dafür war ich jetzt zehn Jahre lang unter­wegs und habe Wissen gesam­melt. Ich war bei Bas­ket­ball­klubs wie den Los Angeles Lakers, den Phoenix Suns, ich war in Bra­si­lien, auf Trai­ner­kon­gressen.

Sie haben als Bun­des­trainer darauf bestanden, Ihren Wohn­sitz in Kali­for­nien zu behalten, was ihnen viel Ärger ein­brachte. Jetzt kommt Ihre Familie bald nach Mün­chen.

Als Kalle Rum­me­nigge ange­rufen hatte, fragte ich Debbie (Klins­manns Frau, d. Red.): Kannst Du dir vor­stellen, wieder nach Mün­chen zu gehen? Sie hat spontan gesagt: Ja! Für uns als Familie ist es eine neue Kon­stel­la­tion mit den Kin­dern. Aber diese Stadt gibt dir alle Mög­lich­keiten, sie inter­na­tional auf­wachsen zu lassen. Es wird span­nend, wie die Kinder Deutsch lernen. Sie ver­stehen es zwar, aber sie spre­chen Eng­lisch. Sport­lich habe immer gesagt: Ich will eine Mann­schaft, die in Europa ein gewal­tiges Wort mit­spricht. Und dann bleiben nur zehn übrig: vier Eng­länder, drei Ita­liener, zwei Spa­nier – und der FC Bayern.

Bis vor kurzem gab es beim FC Bayern ein festes Ritual: Manager Uli Hoeneß trank am Abend vor dem Spiel mit Trainer Ottmar Hitz­feld eine Fla­sche Rot­wein. Werden Sie diesen Brauch fort­führen?

Nein. Ich werde zwar mit Uli vor den Spielen zusam­men­sitzen, und ab und zu trinke ich auch ein Glas Rot­wein. Aber nicht jeden Freitag.