Herr Klinsmann, man hört, dass dass Sie bis zu zwölf Stunden täglich auf dem Gelände des FC Bayern verbringen.
Wenn ich mich für etwas entscheide, dann gehe ich in der Umsetzung auf. Automatisch. Da schaue ich nicht auf die Uhr.
Sie gehen also auch in der Arbeit als Vereinstrainer auf.
In meiner Findungsphase bei der Nationalelf habe ich gespürt: Dieser Beruf macht dir Spaß, er füllt dich aus und fordert doch. Auch meine Firma in den USA hat mir Freude bereitet, aber seit der Zeit beim DFB weiß ich: Du gehörst wieder auf den Platz.
Kann man mit derselben Intensität, mit der Sie das Projekt WM 2006 gepuscht haben, tägliche Vereinsarbeit über einen langen Zeitraum gestalten? Sie hatten in die WM so viel Energie investiert, dass Sie danach innerlich leer waren und eine Auszeit brauchten.
Ich werde manchmal zum Workaholic, das stimmt, aber ich habe gelernt, mich relativ gut einzuteilen. Bei der WM mussten wir alles für ein Mega-Event bis zu einer Deadline hinbringen, auf den Punkt genau. Danach fiel körperlich und emotional viel ab von mir, und ich hatte die Verpflichtung, meine Familie wieder in Balance zu bringen. Hätte ich nach der WM drei Monate freikriegen können, hätte ich vielleicht nicht aufgehört.
Was heißt: Sie haben gelernt, sich einzuteilen?
Ich bin jetzt noch einen Schritt weiter beim Thema Verantwortungsübergabe.
»Empowerment«, wie es in der Klinsmann-Sprache heißt …
… ja, die Aufgabenverteilung im Trainerstab ist beim FC Bayern noch besser als beim DFB. Alle vier Fitnesscoaches arbeiten selbstverantwortlich, meine zwei Assistenten bereiten die Trainingseinheiten vor. So kann ich meinen Schwerpunkt auf die Umsetzung der Trainingsarbeit legen – und auf die Persönlichkeitsentwicklung der Spieler.
Durch den WM-Film Sommermärchen entstand der Eindruck, der Trainer Klinsmann sei gar kein Trainer gewesen, sondern nur der Heißmacher in der Kabine, während die taktische Arbeit in den Händen von Joachim Löw lag.
Ich wusste, dass es in diese Richtung läuft. Sönke Wortmann (Regisseur, Anm. d. Red.) kam damals zu mir nach Kalifornien und zeigte mir den Film in der Rohfassung. Ich habe gesagt: Der Film gibt eigentlich überhaupt nicht wider, was ich beim DFB zwei Jahre lang gearbeitet habe. Aber ich habe Sönke verstanden, er muss seinen Film auf die Emotionen der Zuschauer im Kino auslegen. Ich sagte: Sönke, mach, wie du es für richtig hältst, ich habe kein Problem damit.
Und wie sah die Wahrheit hinter dem Filmszenario aus?
Sämtliche Trainingseinheiten waren zwischen mir und Jogi (Löw, d.Red.) voll abgestimmt. Die Umsetzung auf dem Platz habe ich Jogi übergeben, damit er in diese Aufgabe wächst. Die Planung, die Strategie war aber immer unser gemeinsames Ding, und alle Entscheidungen im sportlichen Bereich, Auswechslungen und so weiter, kamen durch meine Sichtweise der Dinge zustande – die wir dann gemeinsam besprochen haben.
Anfangs war das aber nicht so: Sie sagten, Joachim Löw könne ein Spiel viel besser lesen und analysieren.
Ja, aber ich habe Monat für Monat dazugelernt. Nach dem Confederations Cup 2005 hatte ich das Gefühl: Ich könnte das auch. Aber warum hätte ich das gut Eingespielte auf den Kopf stellen sollen? Sollte ich Jogi eine Aufgabe wegnehmen, in der er voll aufgeht? Wir haben uns beide gegenseitig viel gegeben – und es hat riesig Spaß gemacht.
Auf der nächsten Seite: Warum Jürgen Klinsmann das Argument der finanziellen Diskrepanz zu den Großen nicht akzeptiert.
Beim FC Bayern sollen Sie nun einen Klub aus der zweiten finanziellen Liga Europas an die Spitze der Champions League führen – auf Augenhöhe zu Vereinen, die für Spieler wie Kaka oder Ronaldo 100 Millionen bezahlen können.
Ich akzeptiere das Argument der finanziellen Diskrepanz zu den Großen nicht. Der FC Bayern muss finanziell niemals in diese Regionen gehen. Sicherlich sind solche Ausnahmespieler etwas Besonderes. Aber die Top-15-Vereine in Europa sind alle mit lauter Nationalspielern bestückt. Und letztlich ist die Atmosphäre, ist die Arbeitsphilosophie, die ein Verein entwickelt, wichtiger als ein Hundert-Millionen-Transfer. Inter Mailand hat in den letzten zehn Jahren immer fünfzig bis hundert Millionen in neue Spieler investiert – trotzdem hat die Chemie nie richtig gepasst.
Heißt das: Entscheidend sind nicht teure Spieler, entscheidend ist vielmehr ein Trainer mit Konzepten?
Entscheidend ist, ob die Mannschaft eine Philosophie mitträgt, ob sie sich selbst definieren kann und imstande ist, Probleme zu lösen. An dieser Stelle reduziert sich die Rolle des Trainers. Entscheidungen im Fußball werden am Platz getroffen. Wenn ich als Trainer versuche, das Gehirn des Spielers genau zu programmieren – spiele so, so, so, so – dann wird er nie sein Top-Leistungsniveau erreichen. Der Trainer kann immer nur ein Helfer sein, damit der Spieler sich selbst inspiriert und den Blick öffnet: und zwar keinen 90-Grad‑, sondern einen 180- Grad-Blick. Ich kann dem Spieler helfen in Bezug auf Fitness, auf Selbstvertrauen und Motivation. Für seine Entscheidungen im Spiel aber muss der Spieler selbst eine Balance entwickeln.
Am Ende entscheiden im modernen Spitzenfußball oft Details.
Genau deshalb sehe ich Bayern keineswegs in einer zweiten Kategorie. Es können noch so viele Milliardäre kommen, ob aus Russland oder Amerika – egal! Wenn ich mit einem Topkader arbeiten kann – und das können wir beim FC Bayern auch ohne 50-Millionen-Einkäufe – dann gibt es genug Chancen, diesen Kader kontinuierlich zu entwickeln. Wir haben den Spielern hier ein Leistungszentrum hinstellen können, wo sie sehr viel Input kriegen – im Gegenzug kann man von ihnen etwas zurückerwarten. Wir können hier genau ermitteln, wo es bei einem Spieler hapert, wo wir ansetzen müssen: Im leistungsanalytischen Bereich? Im menschlichen? Im Persönlichkeitsprofil?
Als sie Nationaltrainer wurden, sagten Sie: Ich muss zum Beispie den kopfballschwachen Lukas Podolski dazu bringen, dass er zwei Zentimeter höher springt, denn vielleicht macht Podolski am Ende im WM-Finale das entscheidende Tor, weil er diese zwei Zentimeter höher springt als sein Gegenspieler.
Mein Job ist es, meine Leute so zu verbessern, dass wir auch mit finanzstarken Klubs wie Chelsea oder Milan konkurrieren können. Im WM-Halbfinale gegen Italien hatten wir in der 89. Minute einen Freistoß in der Nähe des Sechzehners. Hätte da einer gesagt: Den lupfe ich über die Mauer – bumm, wären wir im Endspiel gewesen. In solchen Momenten spielen Budgets keine Rolle, sonst hätte Chelsea seit Jahren alle Titel abgeräumt.
Auf der nächsten Seite: Jeden Spieler jeden Tag besser machen – warum Fußball-Trainer für die Persönlichkeitsentwicklung der Spieler mehr Zeit investieren müssen.
Große Stars verlangen außerdem gerne große Privilegien.
Die Integration eines Megadeals wie Kaka kann sehr viel Energie aus einer Gemeinschaft ziehen. Der Fan freut sich, klar – aber ich als Trainer habe immer nur einen Kuchen an Energie zur Verfügung. Wenn ein Ausnahmespieler 30 Prozent dieses Kuchens will, weil er 30 Prozent Aufmerksamkeit kriegen möchte, dann bleiben dem Rest nur 70.
Zu wenig.
Ich frage: Ist ein Spieler unterm Strich ein Geber – oder ein Nehmer? Habe ich zu viele Nehmer, auch wenn sie die besten Fußballer der Welt sind, dann habe ich ein Problem. Gerd Müller, Pelé – das waren Geber. Stars müssen Geber sein! Michael Jordan war immer der Erste im Training. Und der Letzte, der ging.
Müssten Fußball-Trainer für die Persönlichkeitsentwicklung der Spieler mehr Zeit investieren?
Unbedingt. Ich definiere meine Rolle als Helfer. Nach der WM haben viele Spieler zu mir gesagt: Jürgen, vielen Dank, ich bin weitergekommen.
Ihr Mantra heißt: Jeden Spieler jeden Tag besser machen! Franz Beckenbauer war sofort begeistert. Er sagte: Dann lernen Lahm und Schweinsteiger endlich, mit dem linken Fuß zu flanken.
Den Spielern Anstöße zu geben ist ein konstanter Prozess. Keiner soll abends sagen: Das war heute ein toter Tag. Es geht nicht nur um große Dinge auf dem Platz. Wir werden auch externe Leute hinzuholen, die über Spielerberatung reden, über Finanzfragen und vieles mehr. Das Resultat vieler kleiner Maßnahmen wird erfolgreicher Fußball sein. Davon bin ich überzeugt.
Vor 2004 hatte niemand eine Antwort auf die Frage: Wofür steht die Nationalmannschaft? Sie hatten sich zur Aufgabe gemacht, dieses weiße Feld zu bearbeiten. Wie ist das beim FC Bayern?
Ganz anders. Beim DFB konnte ich nicht Schritt für Schritt vorgehen, ich musste schnell handeln, ohne Kompromisse, es ging damals drunter und drüber. Wir hatten zwei Präsidenten, um alles wurde gestritten. Beim FC Bayern baue ich auf einer gesunden Basis auf. Ich habe die Unterstützung aller Chefs, ich habe eine gute Mannschaft, und die Abläufe stimmen.
Auf der nächsten Seite: Klinsmann und die Mia-san-mia-Mentalität der Bayern.
Beim FC Bayern sagt man seit über 30 Jahren: Mia san mia! Können Sie diese Siegermentalität übernehmen?
Jeder Klub, jede Nation braucht eine Identität. Der FC Bayern hat sie schon. Ableitend von der Geschichte und von den großen Persönlichkeiten des Klubs kann ich jedem ausländischen Spieler hier vermitteln: Dafür stehen wir! Wir wollen eine dominante, agierende Spielweise zeigen!
Auf dem Platz wäre das ein Paradigmenwechsel. Denn offensives Selbstbewusstein hat man – zumindest bei Spielen gegen europäische Topklubs – beim FCBayern zuletzt selten gesehen.
Wir wollen uns an Europas Besten messen. Darum müssen wir schneller spielen, mit weniger Ballkontakten, sonst sind die Stürmer zugedeckt, es gibt keine Anspielstationen, und der Ball läuft wieder quer. Du darfst den Moment zum Steilspiel nach vorne nicht verpassen.
Tempofußball setzt wiederum ungeheure Athletik voraus: Forechecking und Freilaufen in hoher Geschwindigkeit.
Diese Forderung definiere nicht ich – die definiert ganz klar die Champions League. Sie hat die Vorreiterrolle, auch für das, was in den Nationalmannschaften passiert. Der Champions-League-Trend zu 4 – 5‑1-Systemen wurde bei der EM fast komplett übernommen. Diesen Trend teile ich allerdings nicht. Ich habe keine Lust, von unseren drei Topstürmern Toni, Klose, Podolski zwei auf die Bank zu setzen. Außerdem will ich Torres oder Drogba, den armen Kerl, in drei, vier Jahren sehen, wenn sie sich vorne dauernd allein aufreiben müssen.
Welches Körperteil des Spielers ist am wichtigsten: Beine? Herz? Kopf?
Der Bereich Fitness ist noch lange nicht ausgereizt. Ab März fährt man bei uns in Deutschland immer das Programm herunter, denn man redet sich im Hinterkopf ein: Jetzt werden wir langsam müde. Blödsinn! Man kann sein Level halten und am Saisonende die Fitnessarbeit eher sogar noch anziehen. Trotzdem: Am Ende entscheidet oft nur der Kopf – und der wird im Fußball nicht trainiert. Keinem Trainer wird erklärt, wie er im geistigen Bereich mit den Spielern arbeiten soll. Dafür sind wir nicht geschult. Aber wenn ich als Trainer einen Spieler nicht lesen kann – dann brauche ich einen, der es kann.
Einen Sportpsychologen?
Ja, der muss sein. In der Trainerausbildung gibt es vier Säulen: Technik, Taktik, Fitness, Mentales – mental in Anführungszeichen. Aber es gibt keinen fünften Pfeiler: life skills, Persönlichkeitsentwicklung. Damit habe ich mich seit 2006 beschäftigt. Und daran wollen wir hier beim FC Bayern arbeiten. Wie soll ein Spieler in der 89. Minute das Richtige tun, wenn ich ihm nicht helfe, für sein Leben verantwortlich zu sein? Wenn ich Breno oder Sosa nicht zeige, wie sie hier in unserer Kultur zurechtkommen? Auch Luca Toni muss Deutsch lernen, denn ohne Kommunikation wird immer ein kleines Puzzlestück fehlen. Trotzdem kann es ohne dieses Puzzleteil reichen für den Erfolg. Möglicherweise aber reicht es auch nur, um die Bundesliga zu gewinnen – und nicht die Champions League, wo wir aber hinwollen.
Auf der nächsten Seite: Was hat Klinsmann mit Schweinsteiger und Podolski vor? Und wer sind die Zukunftshoffnungen?
Was haben Sie mit Schweinsteiger und Podolski vor, die bei der EM besser zur Geltung kamen als zuletzt im Klub?
Klinsmann: Beide haben schon wahnsinnig viel erlebt, Achterbahnfahrten mit Hochs und Tiefs. Unser Job ist es, sie auf ihr nächstes Level zu bringen. Dafür werde ich ihnen nicht jeden Tag auf die Schulter klopfen, ich werde auch mal hart mit ihnen ins Gericht gehen. Aber ich muss wissen, wie ich sie anzupacken habe. Das Gleiche gilt für Jansen, für Lahm.
Die Zukunftshoffnungen.
Ja, das ist eine Generation in Deutschland zwischen 21 und 25, die noch einen weiten Weg vor sich hat – aber einen Weg voller Perspektiven. Und die muss ich ihnen zeigen: Lukas, dein Job ist es, die zwei anderen (Klose und Toni, d. Red.) mit voller Power anzugreifen. Basti: Du hast dir hier schon was aufgebaut, aber jetzt heißt es: Ellbogen raus! Beide müssen stressresistenter werden, noch konstanter in ihrer Fitness, damit die Ausschläge ihrer Ups and Downs kleiner werden. Aber sie sind ja erst 23, 24.
Mit welchem System wollen Sie spielen: Mit zwei Sechsern, mit einem? Wieder mit einem Zehner hinter den Spitzen, den Ottmar Hitzfeld abschaffte?
Wir müssen mit mindestens zwei Systemen umzugehen lernen. Vom Kader her ist ein 4−4−2 vorgegeben, entweder mit Raute oder mit flacher Mittelfeldreihe. Parallel dazu müssen wir noch eine Alternative trainieren. Und weil wir mit wenigstens zwei Stürmern spielen wollen, aber keine echten Flügelstürmer haben, kann diese Alternative wohl nur ein 3−5−2 sein. In der Bundesliga werden viele Gegner nur mit einer Spitze kommen, da möchte ich eigentlich keine vier Abwehrspieler dagegen stellen. Da will ich sehen , dass auch ein Innenverteidiger mal mit nach vorne geht.
Das mit den Vorstößen wird Lúcio gerne hören.
Lucio, Demichelis, Sagnol – solche erfahrene Spieler erwarten auch, dass man mit ihnen taktische Themen diskutiert. Was heißt 3−5−2? Dass der Außenspieler viel Arbeit hat (lacht)! Oder wer macht was im 4−4−2? Wer übernimmt wo welchen Mann? Bei solchen Diskussionen werde ich immer den Austausch mit den Spielern suchen.
Wer wird Kapitän?
Ein Geber. Eine Persönlichkeit mit Stellenwert. Ich halte sehr viel von dieser Rolle, für mich wird das ein permanenter Ansprechpartner sein. Wer es wird? Warten Sie bitte noch ab.
Sie tun viel dafür, dass die Spieler auch Stoff für den Kopf erhalten: Der Klub bietet Sprachkurse, Lese-Ecken und Yoga. Doch solche Neuerungen polarisieren auch. Bei Misserfolg könnten Ihnen die an der Säbener Straße aufgestellten Buddhas schnell um die Ohren fliegen.
Das ist völlig normal. Nackenschläge werden sicher kommen, und dann kriegst du bei uns alles um die Ohren gehauen, was du anders machst als in den letzten 20 Jahren. Ohne Buddhas würden die Kritiker andere Argumente finden. Ich habe das zwei Jahre bei der Nationalmannschaft erlebt: Jede Kleinigkeit wurde hinterfragt, sogar, dass wir mit Gummibändern trainiert haben.
Auf der nächsten Seite: Warum Klinsmann Kalifornien für die Bayern verlassen hat und was aus dem Ritual des Rotweins mit Uli Hoeneß wird.
2004, als Sie Bundestrainer wurden, war Deutschland Europas Schlusslicht bei der wirtschaftlichen Entwicklung, es herrschte ein Klima des Jammerns und Zauderns. Sie selbst stehen für das Gegenteil: für den american way of life, für Zuversicht und große Ziele. Wie sehen Sie heute Ihr Land?
Es ist ein Bewusstsein entstanden, sich an der Spitze zu orientieren. Auch im Fußball wollen wir mit den Großen der Welt zurechtkommen. Es gibt nach wie vor Nachholbedarf in der taktischen Arbeit, und wir müssen noch nachhaltiger unsere Talente fördern. Ihnen klarmachen, dass der Sport sich immer am nächsten Tag orientiert und nicht am gestrigen. Als Hochleistungssportler darf man sich niemals ausruhen, in positiven wie in negativen Momenten.
Auch nicht nach einem EM-Finale?
Wären wir Europameister geworden, wäre es noch schwieriger geworden, die Spieler einzufangen, weil ihr Umfeld mittlerweile oft so komplex und so irreal ist, dass nur noch die Außenwelt den Spieler beeinflusst. Das Fatale am Fußballerberuf ist: Es gibt keine Ausbildung dafür. Ein Spieler wird mit 18 Profi, aber keiner erklärt ihm : Wie gehe ich mit Medien um, mit Sponsoren? Wie lege ich Geld auf die Seite? Wie beurteile ich falsche Freunde und Schulterklopfer?
Hören junge Spieler denn zu?
Wenn ich Argumente und Antworten habe, dann verstehen sie mich. Du hast heute eine Generation, die will wissen, warum etwas zu tun ist. Denen muss man Trainingseinheiten genau erklären: Heute brauchen wir eine Schnellkrafteinheit, weil wir die Dinge nur dann ins Zentralnervensystem reinbringen, wenn wir es alle vier, fünf Tage tun. Die heutige Generation hinterfragt alles.
Das Klischee heißt jedoch: Null-Bock-Generation.
Das Gegenteil ist richtig. Die Spieler wollen heutzutage lernen, sie wollen klare Ziele definieren. Dem einen ist geholfen, wenn er eine Sprache lernt, beim anderen kann sein: Er lernt lieber Gitarre. Als Trainer habe ich 20, 24 Spieler, da muss ich viele Wochen investieren, um herauszufinden: Wie tickt jeder? Aber genau das macht mir Spaß. Und wenn nebenbei Titel herausspringen – super.
Wenn die aber ausbleiben …
… werde ich in Frage gestellt und verliere früher oder später meinen Job. Mit diesem Risiko kann ich leben.
1997 sind Sie aus München weggegangen mit dem bitteren Fazit: Ich passe nicht hierher. Warum passt es jetzt?
Als Familie haben wir uns auch damals sehr wohlgefühlt in München. Und heute haben wir eine neue Konstellation mit einem Vorstand, der mir absolut den Rücken deckt. Ich war damals auch nicht in einer Entscheider-Position. Dafür war ich jetzt zehn Jahre lang unterwegs und habe Wissen gesammelt. Ich war bei Basketballklubs wie den Los Angeles Lakers, den Phoenix Suns, ich war in Brasilien, auf Trainerkongressen.
Sie haben als Bundestrainer darauf bestanden, Ihren Wohnsitz in Kalifornien zu behalten, was ihnen viel Ärger einbrachte. Jetzt kommt Ihre Familie bald nach München.
Als Kalle Rummenigge angerufen hatte, fragte ich Debbie (Klinsmanns Frau, d. Red.): Kannst Du dir vorstellen, wieder nach München zu gehen? Sie hat spontan gesagt: Ja! Für uns als Familie ist es eine neue Konstellation mit den Kindern. Aber diese Stadt gibt dir alle Möglichkeiten, sie international aufwachsen zu lassen. Es wird spannend, wie die Kinder Deutsch lernen. Sie verstehen es zwar, aber sie sprechen Englisch. Sportlich habe immer gesagt: Ich will eine Mannschaft, die in Europa ein gewaltiges Wort mitspricht. Und dann bleiben nur zehn übrig: vier Engländer, drei Italiener, zwei Spanier – und der FC Bayern.
Bis vor kurzem gab es beim FC Bayern ein festes Ritual: Manager Uli Hoeneß trank am Abend vor dem Spiel mit Trainer Ottmar Hitzfeld eine Flasche Rotwein. Werden Sie diesen Brauch fortführen?
Nein. Ich werde zwar mit Uli vor den Spielen zusammensitzen, und ab und zu trinke ich auch ein Glas Rotwein. Aber nicht jeden Freitag.